"Hessencam"
Zu Handlangern gemacht
Im mittelhessischen Rabenau-Geilshausen hatte das kirchliche Jugendmedienprojekt "Hessencam" radikale Aussagen am Rande einer AfD-Veranstaltung dokumentiert. Ein Mann, der den Videojournalisten mit groteskem Geschreie vertreiben will, ein anderer, der sich offen als "Nationalsozialist" bezeichnet, ein weiterer, der einen SPD-Abgeordneten als "Dr. Mengele", den Nazi-Verbrecherarzt von Auschwitz, bezeichnet - das Video wurde mehr als eine Million mal geteilt. Nun ermittelt die Justiz - nicht gegen jene, die sich als Nazis bezeichnen, sondern gegen den Journalisten. Es ist ein nicht hinnehmbarer Angriff auf die Pressefreiheit durch staatliche Gewalt in Mittelhessen.
Die Staatsanwaltschaft Gießen ermittelt wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz (KUG). Der Videojournalist, in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Kreisen in Hessen bekannt, habe in Hüfthöhe gefilmt, der Videojournalist sei nicht als Journalist zu erkennen gewesen. Pikant daran: Es handelt sich um ein Antragsdelikt, wie die DJV-Justiziarin Hanna Möllers in einem Tagesschau-Bericht erklärte. Dass die Polizei nun aktiv nach Zeugen sucht, ist spannend. Die AfD hat das als Aufforderung verstanden und nun Menschen zusammengetrieben, die angeben, gegen ihren Willen gefilmt worden zu sein.
Wer sich das Video anschaut, bemerkt schnell, wie abstrus die Argumentation ist. Joachim Schaefer, der Betreiber der Plattform, wird von vielen Teilnehmern sofort erkannt, einige Teilnehmer "warnen" andere sogar vor ihm, da er als AfD-kritisch bekannt ist. Schaefer gibt außerdem an, mit einer erkennbaren Kamera und Mikro auf die Menschen zugegangen zu sein, was schlüssig ist mit dem Verhalten der AfD-Besucher.
Der Schaden ist derweil längst entstanden: Es kann für Beobachter der Eindruck entstehen, dass Staatsanwaltschaft Gießen und Polizei Mittelhessen Journalistinnen und Journalisten durch die eifrigen Ermittlungen zu einem Delikt, das maximal mit Freiheitsstrafe bewehrt ist, einschüchtern wollten. Dadurch würden sich staatliche Gewalten aber im Vorwege zu Handlangern einer in Teilen extremistischen Partei machen. Was klar sein muss: Pressefreiheit ist ein Grundrecht, ein Menschenrecht. Nicht ohne Grund ist das, was Journalistinnen und Journalisten machen, durch unsere Verfassung geschützt.
Denn es besteht ein enormes Interesse daran zu erfahren, wie sich Anhänger einer Partei, die in Teilen rechtsextreme Positionen einnimmt, im Umfeld von Versammlungen geben. Ohne die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, etwa durch das Projekt "Hessencam", hätten Wählerinnen und Wähler nicht den Eindruck bekommen, den sie etwa durch das "Hessencam"-Video erhalten haben - dass sich ein Kern der ländlichen AfD-Wählerschaft selbst als Nationalsozialisten bezeichnet, deren Vokabular verwendet und andere Politiker mit NS-Verbrechern vergleicht. Diese Erkenntnis ist von enormem öffentlichen Interesse, sie liefert Informationen zur Willensbildung vor der Landtagswahl im Oktober.
Aufgabe der Polizei und der staatlichen Behörden wäre es vielmehr gewesen, die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu schützen. Diese Versuche, die Pressefreiheit zu unterhöhlen, sind indes brandgefährlich. Der DJV Hessen hatte die Polizei und Staatsanwaltschaft aufgefordert, zeitnah eine sorgfältige juristische Abwägung in der Ermittlungsarbeit vor dem Hintergrund des Grund- und Menschenrechts der Pressefreiheit vorzunehmen und die Ermittlungen dann sofort zu beenden. Nur so lässt sich weiterer Schaden abwenden, da das pressefeindliche Verhalten schon jetzt geeignet ist, im Vorfeld der Wahl als demokratiegefährdend bezeichnet zu werden. Journalismus ist kein Verbrechen!
Ein Kommentar von Mika Beuster