US-Wahlempfehlungen
Wo die Erde bebt
Washington Post: 200.000 weniger. Foto: Imago Thomas Imo
Weil die Washington Post auf Geheiß von Eigentümer Jeff Bezos keine Wahlempfehlung vor der US-Präsidentschaftswahl abgibt, laufen ihr die Abonnenten in Scharen davon. Der erste spektakuläre Fall, bei dem die wirtschaftlichen Interessen des Verlegers die Redaktion dominieren.
Was hierzulande den Deutschen Presserat auf den Plan riefe und für tagelange Berichterstattung auf den Medienseiten und in den Mediendiensten sorgen würde, ist in den USA seit Jahrzehnten gelebte Tradition: Wahlempfehlungen der großen Leitmedien zur Präsidentschaftswahl. Dabei ist klar, dass die liberalen Medien zur Wahl der Demokraten aufrufen.
Nicht so in diesen Tagen vor der Wahlentscheidung der Amerikaner für Kamala Harris oder Donald Trump. Die Washington Post, spätestens seit der Aufdeckung der Watergate-Affäre in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Flaggschiff des liberalen Amerika, verzichtete auf eine Wahlempfehlung. Schnell wurde klar, warum: Verleger Jeff Bezos, der Eigentümer von Amazon, hatte die Redaktion angewiesen, sich herauszuhalten. Und auch die Los Angeles Times hält sich zurück.
Zwei liberale Zeitungen, die nicht zur Wahl von Kamala Harris aufrufen? Jeff Bezos wird nachgesagt, dass er Donald Trump besänftigen will, der mit ihm über Kreuz liegt. Warum? Wegen Regierungsaufträgen, auf die sein Weltraumunternehmen Blue Origin hofft. Das sagt er natürlich nicht, sondern behauptet, die redaktionelle Unabhängigkeit stärken zu wollen. Das kauft ihm niemand ab, denn die Redaktion hatte bereits von sich aus die Wahlempfehlung für die Kandidatin der Demokraten geschrieben, nur noch nicht abgedruckt.
Die Folge sind mehr als 200.000 gekündigte Abonnements, acht Prozent der verkauften Auflage. Tendenz steigend. Und mehrere Journalisten haben wutentbrannt gekündigt.
Sieht so die redaktionelle Unabhängigkeit bei Zeitungen aus, die Wirtschaftsmagnaten gehören?
Ein Kommentar von Hendrik Zörner