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Clubhouse

Wenn die Candy-Crush-Party eskaliert

25.01.2021

Neue Social Media App Clubhouse. Foto: DerStandard.at

Unter eins, unter zwei, unter drei und los: Es waren rauschhafte Tage auf der Audio-Chat-Plattform Clubhouse.

Politiker:innen mischen sich virtuell unter junge Leute, diskutieren bei ausgelassener Stimmung auch über Belangloses. Nutzer:innen freuen sich über die prominenten Party-Crasher. Die Zuhörerschaft vergrößert sich, bald lauschen Tausende Nutzer:innen dem Treiben. Wie bei vielen guten Partys eskaliert es rasch. Am nächsten Tag schreit ein Ministerpräsident einen Chefredakteur an, an einer virtuellen Bar wird bei mehr als tausend Zuhörern diskutiert, ob solche Gespräche als privat und vertraulich gelten können und der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor (CDU) versucht sich nach Mitternacht am Pommernlied.

Mit dem Start in die neue Woche herrscht Ernüchterung: Die Gespräche sind aus dem virtuellen Raum hinaus geschwappt und haben sich von einer Debatten-Mücke in eine handfesten Skandalelefanten verwandelt, bei der sich Bodo Ramelow (Linke) bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür entschuldigt, dass er sie „Merkelchen“ genannt hat, er sich gegen Sexismusvorwürfe wehren muss und die Frage im Raum steht: Was dürfen Journalisten, was Politiker – und wie stehen beide Berufsgruppen zueinander?

Schon erstaunlich wie ein vor wenigen Wochen noch fast unbekanntes Social-Media-Startup wie explodierendes Dynamit auf die Beziehung von Journalisten und Politiker wirken kann. Auf der Plattform können Menschen in Audio-Chatrooms diskutieren – wie in einer Telefonkonferenz. Leute stoßen auf Leute, die sie im „echten“ Leben nicht treffen würden. Überschattet wird Clubhouse dabei von Datenschutzskandalen und nun dem Vorwurf, dass sich dort Politiker:innen und Journalist:innen gegenseitig fetzen und den Nutzer:innen so die Möglichkeit zum Austausch nehmen.

Es spitzt sich auf eine Frage zu: Dürfen Journalist:innen berichteten, wenn Spitzenpolitiker:innen wie der Ministerpräsident aus Thüringen sich dort äußern? Bodo Ramelow war zunächst der Meinung: Nein, er habe „unter 3“ gesprochen. Nach den Regeln der Bundespressekonferenz hätte also keine Journalistin die Informationen verwerten dürfen. Etwa, dass er bisweilen Candy Crush auf dem Handy spielt, wenn die Ministerpräsident:innen tagen - auch wenn er es konsequent Candy Crash nannte. Oder, dass er die Kanzlerin als „Merkelchen“ bezeichnetet. Ob das ein Skandal ist, sei dahingestellt. Ramelows Argumentation allerdings, dass der Chefredakteur der Welt am Sonntag, Johannes Boie, darüber nicht berichten hätte dürfen, überzeugt nicht.

Denn die Antwort auf die Frage lautet: Ja natürlich, was denn sonst. Auch wenn etliche Politiker:innen jeder Couleur Ramelow beipflichten: „Unter 3“, also vertrauliche Gespräche, sind denklogisch bei mehr als Tausend Zuhörern nicht möglich. Mehr noch: Es wäre ja geradezu grotesk, wenn nur die Personen, die keinen Presseausweis besitzen, über das reden könnten, was der Ministerpräsident vor Publikum sagt. Und ganz nebenbei: Vertraulichkeit wird zu Anfang eines Gesprächs vereinbart, nicht danach. Da können eigentlich medienerfahrene Alt-Granden wie Ruprecht Polenz so oft auf das britische Pendant der Chatham House Rules verweisen, wie sie wollen.

Vertraulichkeit und Social Media schließen sich übrigens grundsätzlich gegenseitig aus. Was auf Twitter, Facebook – oder ja: Clubhouse – geschieht, bleibt nicht dort. Debatten und Inhalte springen schnell über die virtuellen Grenzen der Plattformen, denen sie entstammen. Der medienerfahrene Ramelow mag zwar einen naiven Augenblick gehabt haben, aber viele Nutzer:innen stimmen tatsächlich in Debatten am Wochenende dem Empfinden zu, dass Journalist:innen alleine darauf aus seien, eine schnelle Schlagzeile zu machen. Ramelow ließ sich am Ende dabei sogar dazu hinreißen, Chefredakteur Boie anzuschreien und Journalist:innen zu unterstellen, bisweilen Voyeure zu sein. Der Vorwurf ist dabei ungeheuerlich, er sollte aber zu denken geben: Findet die Art und Weise der Berichterstattung immer den richtigen Ton, wird zu stark verkürzt? Wie gibt man aber ein stundenlanges Gespräch korrekt wieder, was sind die wichtigsten Punkte? Darüber debattierte Clubhouse tagelang heftig.

Zu welcher Bewertung man auch kommen mag: Am Grundsatz muss festgehalten werden, dass Spitzenpolitiker Personen der Zeitgeschichte sind. Solange sie sich nicht im höchst-privaten Raum bewegen, müssen sie damit rechnen, dass ihre Aussagen berichtet werden. Weil es eben eine Rolle spielt, was Ramelow und Co über Merkel sagen und was sie während ihrer Dienstzeit so treiben. Es ist dabei klar: Politikern wäre es immer lieber, dass Journalist:innen nicht dabei wären, wenn sie mit Menschen reden. Dann könnten sie „endlich das sagen, was sie meinen“. Doch es ist die Aufgabe von Journalist:innen genau in solchen Augenblicken zuzuhören – und zu berichten.  Das schulden sie ihrem Publikum, das ist ein Teil ihrer demokratischen Aufgabe. Dass die Clubhouse-Regeln das Wiedergeben von Gesagtem eigentlich verbieten, ist belanglos. Artikel fünf des Grundgesetzes steht über fragwürdigen Geschäftsbedingungen von Scoial-Media-Unternehmen.

Was nehmen wir nun aus dem Wochenende mit? Die nur scheinbare Nähe auf Clubhouse, die nur scheinbar die Distanz zwischen Politikern, Journalisten und Publikum verschwinden lässt, befeuert einen alten Konflikt: Wie viel Nähe verträgt das Verhältnis Poliker:in und Journalist:in, wie viel braucht es? Wie sieht faire Berichterstattung aus, lässt sich ein Drei-Stunden-Gespräch in wenigen Zeilen zusammenfassen, wurden Nichtigkeiten aufgegriffen und skandalisiert oder Relevantes zugespitzt? Wie läuft korrektes Zitieren – muss man vorher um Genehmigung fragen oder würde das Journalismus ad absurdum führen? Wie gehen wir damit um, dass „Bild“-Vize Paul Ronzheimer von der Plattform gesperrt wird, weil sich viele Nutzer über ihn beschwerten – ist am Ende die Zahl der Beschwerden schwerwiegender als der Inhalt der Vorwürfe? Was sagen die Medien-Nutzer:innen dazu, wenn sie am Montag erfahren, über was sich Journalist:innen und Politiker:innen bis weit nach Mitternacht unterhalten, streiten und singen – während die Corona-Krise das Leben von so vielen Menschen überschattet? Wir nehmen viele Fragen mit. Auf die gilt es Antworten zu finden. Am besten bei einer Debatte „unter 1“, also öffentlich. Und möglichst sachlich, möglichst ohne Candy Crush. Und vielleicht auch einmal offline.


Ein Kommentar von Mika Beuster

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