Polizeimeldungen
Wenn der Staat die Arbeit der Presse macht
Der Pressekodex ist in der Debatte - aber warum fühlt sich gerade die Polizei daran gebunden?
Seit den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln steht der Presserat in der Kritik. Die Regelungen im Pressekodex seien schuld, warum Redaktionen nicht klar Ross und Reiter nennen könnten, wenn es um Kriminalität ginge. Die fehlende Nennung der Herkunft von Tätern wirke wie eine Desinformation und führe zu einem Vertrauensverlust der Bürger. So erklärte beispielsweise ein Chefredakteur auf einer Veranstaltung der Nachrichtenagentur dpa am 22. Februar 2016, der Presserat sei ein „Selbstgeißelungs-Organ“, seine Regelungen müssten deswegen geändert werden. Am 9. März wird sich der Presserat mit diesen Forderungen beschäftigen.
Wer in den Pressekodex blickt, darf zunächst ein wenig überrascht sein. Denn in dessen Punkt 12 kann nachgelesen werden können, dass die Zugehörigkeit er Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten erwähnt werden darf, - jedenfalls dann, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht:
Ziffer 12 – Diskriminierungen
Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.Gleichzeitig steht aber in der Richtlinie des Presserates zu dieser Regelung:
Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Der Pressekodex verbietet daher keinesfalls die Nennung von Religion oder Ethnie der Straftäter. Er mahnt letztlich nur an, dass Redaktionen es sich genau überlegen, ob es angesichts der Thematik angemessen erscheint. Wer den Punkt 12.1 liest, fragt sich daher, was denn hier überhaupt noch geändert oder näher ausgeführt werden müsste. In der Kürze liegt die Würze, wissen Journalisten.
Wie eine Redaktion die Frage löst, ob sie die Herkunft oder andere Details zu Tätern oder Verdächtigen nennt, ist ihr in einem freien Land selbst zu überlassen. Die „eine“ richtige Herangehensweise wird es meist nicht geben. Wie sehr ein Thema akzentuiert wird, hat etwas mit der publizistischen Ausrichtung eines Mediums, aber auch dem Anspruch des einzelnen Verfassers zu tun. Die Redaktion hat selbst zu entscheiden, was sie bringen will – und muss dann natürlich auch akzeptieren, für diese redaktionelle Entscheidung kritisiert zu werden.
Die Leser selbst können ebenfalls entscheiden, indem sie eben diejenigen Medien lesen, die ihrer Meinung nach die richtige Entscheidung bei der redaktionellen Bearbeitung von Inhalten fällen. Sie können Leserbriefe schreiben, in der sie der Redaktion entweder vorwerfen, zu oft über Herkunft und andere Aspekte zu berichten oder umgekehrt das Weglassen solcher Informationen kritisieren. Leser können zudem Fälle, bei denen sie eine Fehlentscheidung der Redaktion sehen, auch vor den Presserat bringen.
Eine Änderung oder Erweiterung dieser Grundsätze erscheint daher überflüssig. Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV), Mitglied des Trägervereins des Deutschen Presserates, lehnt eine Änderung des Pressekodex ab, wie der DJV-Vorsitzende Dr. Frank Überall am 8. März 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schrieb.
Die Polizei als publizistische Einheit eigener Art
Problematisch wird es für die Medien allerdings, wenn ihnen die Polizeibehörden die Entscheidungshoheit nehmen, indem bereits in den Polizeiberichten Informationen weggelassen werden. Die Polizei hat sich in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Debatte um die Thematisierung der (so genannten) Flüchtlingskriminalität mehrfach auf den Pressekodex berufen. Aber seit wann ist die Polizei die Presse? Hat sie der Presse nicht die ganze Information zur Verfügung zu stellen und den Medien die redaktionellen Entscheidungen zu überlassen?
Das Problem liegt darin: Längst verstehen sich Behörden, nicht nur die Polizei, als Medien eigener Art, die Redaktionen gar nicht so sehr brauchen. Die direkte Kommunikation mit dem Bürger ist Trumpf. Professionelle Medienarbeit von Behörden selbst, die mit Texten, Fotos und Internetseiten bis hin zu Facebook arbeiten.
In den 80er Jahren hatten Tageszeitungen versucht, solche Aktivitäten mit Klagen gegen die damals so genannten "Rathauszeitungen" juristisch zu unterbinden, die Behörden konnten sich jedoch dagegen vor Gerichten durchsetzen. Auch Fotojournalisten, die gegen den Wettbewerb durch Fotografen der Feuerwehren vorgehen wollen, sind wenig erfolgreich. Medienarbeit von Behörden ist Realität. So urteilte auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am 6.Februar 2016, dass die Smartphone-App "DWD Warn Wetter" des Deutschen Wetterdienstes rechtmäßig sei und keinen unlauteren Wettbewerb gegenüber privaten Wetterdiensten darstelle.
Pressemitteilungen der Polizei erscheinen daher vollkommen rechtmäßig auf den Internetseiten der Landespolizei, geordnet nach Gemeinden. Darüber hinaus nutzt die Polizei auch den „Originaltextservice“ (OTS) der dpa-Tochter news aktuell. Hier können Bürger sehr komfortabel, unter anderem auch über die Smartphone-App „Presseportal“ auf die Berichte der Polizei zugreifen.
Die Polizei macht also selbst Medienarbeit, kommuniziert direkt mit dem Bürger, ganz ohne unabhängige journalistische Redaktionen. Damit wird sie selbst zu einer publizistischen Einheit. Ihre Veröffentlichungen können daher zu den gleichen Problemen führen, wegen derer der Pressekodex vor langer Zeit geschaffen wurde.
Niemand kann wollen, dass durch eine zum falschen Zeitpunkt platzierte Pressemitteilung der Polizei eine in der Öffentlichkeit bereits gespannte Situation eskaliert, dass es dadurch zu Gewaltausbrüchen gegenüber Einzelpersonen oder ganzen Gruppen kommt. Genau wie die Presse trifft die Polizei daher nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethische Verantwortung für Publikationen. Genau für solche Fragen wurde der Pressekodex geschaffen. Insofern kann nicht wirklich kritisiert werden, dass die Polizei bei ihren unmittelbar an die Allgemeinheit gerichteten Meldungen den Pressekodex anwendet.
Braucht es spezielle Pressemitteilungen für die Presse?
Wenn die Polizei an ihre eigenen Publikationen nun die Maßstäbe des Pressekodex legt, nimmt sie allerdings den Redaktionen die Möglichkeit, die Entscheidung nach Ziffer 12 des Pressekodex selbst zu fällen. Die publizistische Entscheidung darüber, welche Nachrichteninhalte für die Leserschaft sinnvoll sind, ist den Medien daher nur noch dann möglich, wenn die Polizei es für sinnvoll gehalten hat. Damit kommt es, auch wenn es hart klingen mag, de facto zu einer Lenkung der Medien durch die Polizei. Nur dort, wo die Polizei aus eigenem Ermessen ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit sieht, wird sie Details offenbaren. Gibt es Kritik an ihren Entscheidungen, beruft sie sich auf den Pressekodex. Anders als in der Presse, wo sich Leser ein anderes Medium suchen können, das vermeintlich unangenehme Details offen nennt, gibt es allerdings keine zweite Polizei. Was die Polizei nicht herausgibt, kann gar nicht thematisiert werden.
Durch ihre Berufung auf den Pressekodex diskreditiert die Polizei dieses Regelwerk erheblich, auch wenn sie es gar nicht beabsichtigt. Der Kodex wird als Legitimation dafür herangezogen, dass überhaupt niemand - auch nicht die Medien selbst – mehr an bestimmte Informationen herankommen. In der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Medien wird der Pressekodex damit gerade auf Grund solcher Polizeiverlautbarungen zum Negativum. Kein Wunder also, dass die Abschaffung oder starke Veränderung der Ziffer 12 gefordert wird.
Die Interessenvertreter von Polizei und Politik könnten angesichts solcher Kritik darauf verweisen, dass das Auskunftsrecht der Journalisten aus dem Landespressegesetz/Landesmediengesetz unberührt bleibt. Eine Pressemitteilung ist schließlich etwas anderes als eine Auskunft nach dem Presserecht. Doch Redaktionen haben immer weniger Zeit, Pressemitteilungen zu hinterfragen und zusätzliche Auskünfte anzufordern. Auch wird die Arbeit der Journalisten dadurch eine Zumutung: sollen sie auf Grund der spezifischen "Umstände" eines Deliktes von sich aus vermuten, dass hier ein besonderer Täterkreis gegeben sein könnte und deswegen nun eine Auskunft über die Herkunft der Täter einfordern? Warum solche Informationen nicht gleich in der Pressemitteilung stehen können, lautet hier die Frage von Journalisten.
Zu dieser Problematik kommt noch hinzu: es gibt eine ganze Reihe von Fällen, die es überhaupt nicht in die Mitteilungen der Polizei schaffen. Das gilt offenbar gerade in Fällen so genannter „häuslicher Gewalt“ oder wenn auf Grund der Umstände für alle Welt klar zu erraten wäre, um welche konkrete Person es sich handelte – hier wird der Datenschutz geltend gemacht. Als Fälle "häuslicher Gewalt" bewertet die Polizei offenbar öfter auch Gewalttätigkeiten innerhalb von Flüchtlingsheimen oder Turnhallen, wo Flüchtlinge in armseligen Holzkonstruktionen untergebracht sind. Die Turnhalle, ein "Haus"? Der Eindruck, dass die Polizei selbst Politik macht, zumindest aber vieles unterdrückt, wird durch solche Entscheidungen noch einmal größer.
Seitdem nach der massiven sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht in Köln die Kritik an der Polizei über das Verschweigen von Informationen zu den Tätergruppen nicht mehr endete, gibt es mittlerweile öfters Pressemitteilungen der Polizei, in denen die Nationalität oder der aufenthaltsrechtliche Status genannt wird. Nun entwickelt sich eine Kritik aus ganz anderer Optik: Die Nennung solcher Fakten sei überflüssig, habe politische Dimensionen oder sei unverantwortlich bis rechtswidrig. Erneut stellt sich die Frage, ob die Polizei hier Politik macht, selbst wenn sie es selbst gar nicht beabsichtigt.
Keine einfachen Lösungen
Was kann die Lösung sein? Die Polizei könnte aufhören, ihre Pressemitteilungen direkt und für jedermann zu publizieren – im Gegenzug könnte sie beim Verfassen von Meldungen auf die Filterung von Informationen verzichten und sich darauf verlassen, dass allein die Presse die publizistische Entscheidung trifft.
Allerdings kann sich jeder ausrechnen, welchen Empörungssturm diese Entscheidung in den sozialen Medien, die längst als „fünfte Gewalt“ anzusehen sind, hervorrufen würde. Der Vorwurf der Zensur würde sofort erhoben werden. Denn die über OTS verteilten Pressemitteilungen und Berichte der Polizei werden von migrationskritischen Autoren im Netz oft ausführlich zitiert, gleich ob Informationen zur Herkunft von Tätern in den Meldungen stehen oder nicht. Fehlen solche Angaben, werden sie vom "Netz" oft genug nachgeliefert.
Eine Alternative wäre vielleicht, wenn die Polizei zwei Sorten von Pressemitteilungen produzieren würde. Eine ungefilterte für die Presse („Rohmeldungen“) – eine andere für ihre Direktpublikationen („redaktionelle Nachrichten“). Auch bei dieser Lösung könnte es natürlich zu Stürmen der Empörung in den sozialen Medien kommen, erneut mit dem Vorwurf der Zensur. Ein gewiefter Unternehmer würde sich dann sicherlich auch einfach als Presse bei der Polizei akkreditieren und aus eigener redaktioneller Entscheidung dann vermutlich alle „Rohmeldungen“ ohne Kürzung veröffentlichen. Letztlich wäre der Originaltext damit nur über Umwege wieder in der Welt.
Kann die "Open-Data"-Bewegung, von der die "Befreiung staatlicher Daten" gefordert wird, demgegenüber vielleicht als hilfreiche Instanz gesehen werden? Wird solchen Ansichten gefolgt, müsste die Polizei freilich sämtliche Daten freigeben, ohne Redaktion und Einschränkung.
Es wird in dieser Problematik keine einfache Lösung geben, die jedem auf Anhieb passt. Eine Bevormundung der Presse durch redaktionell wirksame Entscheidungen der Polizei erscheint jedoch als äußerst fragwürdig.
Die Presse kann nur abwägen, wenn sie die notwendigen Informationen überhaupt erst einmal bekommt. Die Polizei und die für sie zuständigen Innenministerien müssen daher dringend überprüfen, wie sie ihre Aufgabe, die Presse umfassend zu informieren, in Zukunft erfüllen wollen.
Die Problematik der Polizeipublizistik zeigt, dass es nicht unproblematisch ist, wenn staatliche Einrichtungen die Berichterstattung übernehmen. Was zunächst unbemerkt und als netter Service für die Öffentlichkeit beginnt, kann auf Grund der vorzüglichen und kostengünstigen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets zu einer eigenen Kommunikationsmacht werden, die mit der eigentlichen – staatsunabhängigen – Presse und den für diese geschaffenen Regelwerken in Konflikt geraten kann.
Was Fotojournalisten schon längere Zeit beklagen, die Konkurrenz und Verdrängung durch Fotografen von Rettungsdiensten und anderen öffentlichen Einrichtungen, erleben jetzt auch die Wortjournalisten. Nicht nur der Feuerwehrfotograf, sondern auch der Polizeibericht, der sich für Journalismus hält, sind eine Gefahr für die freie Berichterstattung.
Michael Hirschler, hir@djv.de