Mitglied werden
Login Logout Mitglied werden
Warenkorb

Scheinselbständigkeit

Was Pauschalisten und andere "Freie" jetzt tun müssen

07.07.2015

Nicht abwarten, sondern den eigenen Rechtsschutz klären

In deutschen Medienhäusern gibt es zahlreiche Scheinselbständige, die mit so genannten "freien" Pauschalistenverträgen klassische Redakteursaufgaben ausüben. Pauschalisten heißen die Mitarbeiter, weil sie an Stelle eines Arbeitslohnes mit ordnungsgemäßer Sozialversicherung und Lohnsteuer lediglich eine unversicherte und unversteuerte "Pauschale" erhalten.

Bei den zuständigen Prüfdiensten der deutschen Sozialversicherung und Finanzämter sind diese betrügerischen Vertragsverhältnisse offenbar erst in den letzten Monaten stärker in den Fokus geraten. In diesem Sinne berichten jetzt die "tageszeitung" und Mediendienste.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat Politik und Sozialaversicherung wiederholt auf das Problem der grassierenden Scheinselbständigkeit in den Medien aufmerksam gemacht, auch seit langer Zeit mit einer eigenen Broschüre zum Thema. Er vertritt Freie, die scheinselbständig tätig sind, ständig gegenüber ihren Arbeitgebern und Behörden. Ein aktuelles Info zu den Hintergründen der Prüfungen ist online unter <link fileadmin user_upload freiendateien freie-soziales link-file>djv.de abrufbar (Format PDF) (hier Format ePub).

Wichtig dabei: Die Scheinselbständigkeit existiert nicht nur bei Freien, die Tages- oder Monatspauschalen erhalten, sondern mitunter auch bei Freien, die pro forma nach Zeilen, Beiträgen oder gebauten Seiten vergütet werden.

Pauschalisten, aber auch andere scheinselbständige Freie können jederzeit vor dem Arbeitsgericht gegen ihren Arbeitgeber Klage auf Festanstellung erheben, dazu können sie parallel auch den Betriebs- oder Personalrat ihres Betriebs auffordern, sie ordnungsgemäß als Angestellte einzugruppieren. Wenn Freie jetzt im Rahmen von Prüfungen von ihren Arbeitgebern aufgefordert werden, neue Verträge zu unterzeichnen oder von jetzt an "der Arbeit fernzubleiben", sollte sofort Rat beim DJV eingeholt werden. In der Regel ist dann sofort Kündigungsschutzklage einzureichen, dazu haben Freie in der Regel nur drei Wochen Zeit.

Wer plötzlich nur noch mit befristeten "Freien-Verträgen" für sein Medium arbeiten soll, geht am besten ebenfalls mit Hilfe des DJV zu Gericht und erhebt eine so genannte Entfristungsklage.

Wenn der Arbeitgeber Sozialbeiträge nachzahlen muss, werden Freie durch eine Regelung im Sozialgesetzbuch geschützt. Danach dürfen Sozialbeiträge nur bei künftigen Zahlungen abgezogen werden, auch dann aber nur für die nächsten drei Monate und bis zur Pfändungsschutzgrenze. (Ehemals) Freie, die mit solchen Nachzahlungen konfrontiert werden, sollten spätestens dann allerdings ihrerseits Klage auf Nachzahlung von (Tarif-)Lohn und anderen sozialen Leistungen erheben, um sich ihren Teil vom erfolgten Abzug auf diese Weise wiederzuholen.

In jedem Fall sollten Freie extrem davor aufpassen, jetzt Erklärungen jedweder Art ohne vorherige Beratung durch den DJV zu unterschreiben. Sie sollten auch sang- und klanglose Beendigungen nicht akzeptieren. Fast immer können sie, selbst wenn sie keinen Kündigungsschutzstreit führen wollen, noch etwas Geld herausholen.

So rät der DJV scheinselbständigen, aber auch sonst echt selbständigen, aber gleichwohl arbeitnehmerähnlichen Freien dazu, ihren gesetzlichen Anspruch auf Urlaubsentgelt im Fall einer Beendigung der Mitarbeit geltend zu machen. Dieser Anspruch besteht gesetzlich praktisch in Höhe eines Monatshonorars. Wenn während der Mitarbeit nie Urlaubsentgelt gezahlt wurde, kann der Anspruch sogar mindestens für die letzten drei Jahre geltend gemacht werden.

In zahlreichen Streitfällen konnten Freie, die gehen mussten, mindestens diese drei Monatszahlungen herausholen. Natürlich sollte auch der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis durchgesetzt werden. Dabei macht der DJV aber auch darauf aufmerksam, dass drei Monatshonorare und ein Zeugnis nur eine geringe Kompensation für die Beendigung der Tätigkeit sind. Für Freie besteht ohne gerichtliche Klärung auch das Risiko des Verlustes von Sozialversicherungszeiten, die wichtig für Rentenansprüche sind, bis hin zu möglichen Nachzahlungsrisiken zwar nicht bei der Sozialversicherung, wohl aber der Lohnsteuer. Auch deswegen spricht alles dafür, dass Freie vor Gericht ziehen sollten mit dem Ziel, einen Arbeitsvertrag zu erhalten oder zumindest eine Regelung, mit der sie ordentliche Sozialversicherungszeiten, die Übernahme von Steuerschulden und die Abgeltung ihrer Sozialansprüche erhalten.

Wichtig: Der Rechtsschutz ist für Mitglieder im DJV in der Regel frühestens nach sechs Monaten Mitgliedschaft möglich. Daher ist Freien, auch und gerade denjenigen, bei denen eine Prüfung noch nicht stattgefunden hat, zu empfehlen, eine Mitgliedschaft im DJV anzustreben. Eine Rechtsvertretung oder Kostenübernahme ist für Nichtmitglieder leider nicht möglich, so spektakulär ihr Fall auch sein mag. Schon heute geht der weitaus überwiegende Teil der Rechtsschutzkosten im DJV an Freie, so dass die Arbeitszeit und Kostenetats der Rechtsschutzverantwortlichen schon jetzt sehr ausgefüllt ist.

Der DJV appelliert daher an Freie, im eigenen Interesse, aber auch im Interesse der Journalistengemeinschaft, in die Gewerkschaft, die gleichzeitig ein Berufsverband ist, einzutreten, um die notwendige Arbeits- und Aktionsfähigkeit zu erhalten. Die Mitgliedschaft im DJV ist möglich über den jeweiligen Landesverband. Neben Rechtsschutz gibt es zahlreiche andere Vorteile und Serviceangebote.

Wer die Mitgliedschaft nicht mehr rechtzeitig eingeht, muss in den sauren Apfel beißen und auf eigene Kosten zum Anwalt gehen. Auch hier allerdings ein kleiner Trost: Wer nur wenig Geld verdient, kann unter Umständen Prozesskostenhilfe erhalten. In der ersten Instanz muss jede Seiten die Kosten übrigens selbst tragen - ein Vorteil, falls der Prozess verloren geht, dafür auch nachteilhaft, wenn er gewonnen wird. Bei Mitgliedern mit Rechtsschutzanspruch werden solche Kosten natürlich übernommen.

Manche Freien haben die Sorge, sie könnten ihren "Ruf" durch eine Anstellungsklage ruinieren. Hier besteht durchaus Grund zu Gelassenheit. Zahlreiche seit Jahrzehnten in deutschen Medienhäusern tätige angestellte Redakteure haben solche Festanstellungsklagen hinter sich, und bei manchen Arbeitgebern haben sie durch ihre Klage erst den Respekt bekommen, den sie verdient haben.

Klar ist natürlich, dass eine Klage kein lockerer Spaziergang ins Eiscafé ist. Aber auch deswegen ist es immer am besten, mit der Beratung und der Unterstützung der Journalistengemeinschaft im DJV auf diesen Weg zu gehen, statt völlig allein für sich streiten zu müssen.


Michael Hirschler, hir@misaificadjv.de

DJV-Freie Soziales Die letzten vier Meldungen der DJV-Startseite

Weitere Artikel im DJV-Blog

Charlotte Merz
Charlotte Merz

15.05.2024

Die Richterin und das Grundrecht Pressefreiheit

Mit ihrem resoluten Vorgehen gegen einen ZDF-Reporter offenbart Richterin Charlotte Merz ein fragwürdiges Verhältnis zum Grundrecht der Pressefreiheit.

Mehr
STREIK BEIM WDR
STREIK BEIM WDR

07.05.2024

Gier auf Kosten der Freien

Dass Medienunternehmen in Tarifverhandlungen knauserig sind, ist nicht neu. Dass manche von ihnen erst durch Arbeitskämpfe zu besseren Angeboten zu bewegen sind, auch nicht. Dass aber die Honorare der …

Mehr
RAI
RAI

06.05.2024

Legt die Arbeit nieder

Beim italienischen Fernsehsender RAI wird heute gestreikt. Nicht für mehr Geld oder neue Tarifverträge, sondern gegen die Einmischungen der Regierung in die Programminhalte.

Mehr
ITALIEN
ITALIEN

26.04.2024

Hände weg von der RAI

Die Versuche der politischen Einflussnahme durch die Regierung Meloni auf den Rundfunksender RAI nehmen zu. Anfang Mai soll es deshalb einen Streik geben.

Mehr
MEDIENKRITIK
MEDIENKRITIK

25.04.2024

Til Schweiger überzieht

Im Interview mit der Zeit übt Schauspieler und Regisseur Til Schweiger heftige Kritik an einigen Medien. Das kann nach der Berichterstattung über ihn nicht verwundern. Aber bei Kritik belässt er es ni …

Mehr
WDR-RUNDFUNKRAT
WDR-RUNDFUNKRAT

24.04.2024

Zeichen gesetzt

Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks fordert von dem Sender rechtliche Schritte, wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags von der Politik nicht zügig beschlossen wird.

Mehr
JOURNALISTEN
JOURNALISTEN

22.04.2024

Wir sind kein Klischee

Warum nur geraten Journalisten im Spielfilm so gnadenlos daneben? Weil die Drehbuchschreiber keine Ahnung vom Journalismus haben? Oder weil sich das Klischee besser verkauft als die Wirklichkeit?

Mehr
URLAUBSENTGELT
URLAUBSENTGELT

19.04.2024

Freie, aufgepasst!

Freie beim Deutschlandradio haben Anspruch darauf, dass Wiederholungshonorare für die Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurt …

Mehr
TARIFKONFLIKT
TARIFKONFLIKT

17.04.2024

Hoch zu Ross

750 Beschäftigte des Westdeutschen Rundfunks hatten gestern die Nase voll und beteiligten sich am Warnstreik der Gewerkschaften. Bestätigt wurden sie von den Verhandlern der Gegenseite.

Mehr
PROSIEBENSAT.1
PROSIEBENSAT.1

16.04.2024

Berlusconi ante portas

Droht der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 von Hauptaktionär Media for Europe übernommen zu werden? Die Medienaufsicht sollte ihren Blick schärfen.

Mehr
FERNSEHNACHRICHTEN
FERNSEHNACHRICHTEN

15.04.2024

Angekündigte Katastrophe

Mehrere Stunden lang flogen iranische Drohnen Richtung Israel. Stunden, in denen die Öffentlich-Rechtlichen ihr Programm hätten umkrempeln können. Doch bis zu Sondersendungen in ARD und ZDF vergingen  …

Mehr
SWMH
SWMH

11.04.2024

Tröpfchen-Kommunikation

Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der die Süddeutsche Zeitung gehört, tut sich schwer mit klaren und umfassenden Fakten zum geplanten Stellenabbau bei der SZ.

Mehr
ÜBERGRIFFE
ÜBERGRIFFE

09.04.2024

Nicht mehr so schlimm?

Laut Reporter ohne Grenzen ist die Zahl der Übergriffe auf Journalisten 2023 gegenüber dem Vorjahr stark gesunken. Grund zur Entwarnung? Eher nicht.

Mehr
HÖCKE-INTERVIEWS
HÖCKE-INTERVIEWS

08.04.2024

Mit Präzision begegnen

Wie lassen sich Interviews mit Thüringens AfD-Politiker Björn Höcke führen? Sollten sie überhaupt geführt werden? Damit hat sich die Süddeutsche Zeitung in einem lesenswerten Bericht auseinandergesetz …

Mehr
FÖDERL-SCHMID
FÖDERL-SCHMID

05.04.2024

Hexenjagd geht weiter

Die Universität Salzburg bescheinigt der stellvertretenden SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten". Sie darf ihren Doktortitel behalten. Das sieht …

Mehr
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST

04.04.2024

Nah am Rand

Über das "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" sind die notorischen Medienhasser in den Social Media aus dem Häuschen. Bei aller berechtigten Kritik an den Öffentli …

Mehr
KÖLNER STADT-ANZEIGER
KÖLNER STADT-ANZEIGER

03.04.2024

Vermarkter am Ruder

Die Online-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers soll der digitalen Produktentwicklung unterstellt werden und angeblich redaktionell unabhängig bleiben. Zweifel sind angebracht.

Mehr
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

28.03.2024

Die Leser sind nicht blöd

Zeitungsleser wollen für Inhalte, die mit KI erzeugt werden, weniger bezahlen. Das ergab eine Umfrage. Eigentlich eine klare Aussage - wären da nicht Marketingexperten, die Morgenluft wittern.

Mehr
VOICES FESTIVAL
VOICES FESTIVAL

27.03.2024

Journalismus trifft Medienkompetenz

Nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, fand DJV-Vorstandsmitglied Ute Korinth in Florenz heraus.

Mehr
TELEGRAM
TELEGRAM

26.03.2024

Schluss mit lustig

Ein spanisches Gericht hat den Messengerdienst Telegram in dem Land abgeschaltet. Grund sind Verstöße gegen das Urheberrecht.

Mehr