Scheinselbständigkeit
Was Pauschalisten und andere "Freie" jetzt tun müssen
Nicht abwarten, sondern den eigenen Rechtsschutz klären
In deutschen Medienhäusern gibt es zahlreiche Scheinselbständige, die mit so genannten "freien" Pauschalistenverträgen klassische Redakteursaufgaben ausüben. Pauschalisten heißen die Mitarbeiter, weil sie an Stelle eines Arbeitslohnes mit ordnungsgemäßer Sozialversicherung und Lohnsteuer lediglich eine unversicherte und unversteuerte "Pauschale" erhalten.
Bei den zuständigen Prüfdiensten der deutschen Sozialversicherung und Finanzämter sind diese betrügerischen Vertragsverhältnisse offenbar erst in den letzten Monaten stärker in den Fokus geraten. In diesem Sinne berichten jetzt die "tageszeitung" und Mediendienste.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat Politik und Sozialaversicherung wiederholt auf das Problem der grassierenden Scheinselbständigkeit in den Medien aufmerksam gemacht, auch seit langer Zeit mit einer eigenen Broschüre zum Thema. Er vertritt Freie, die scheinselbständig tätig sind, ständig gegenüber ihren Arbeitgebern und Behörden. Ein aktuelles Info zu den Hintergründen der Prüfungen ist online unter <link fileadmin user_upload freiendateien freie-soziales link-file>djv.de abrufbar (Format PDF) (hier Format ePub).
Wichtig dabei: Die Scheinselbständigkeit existiert nicht nur bei Freien, die Tages- oder Monatspauschalen erhalten, sondern mitunter auch bei Freien, die pro forma nach Zeilen, Beiträgen oder gebauten Seiten vergütet werden.
Pauschalisten, aber auch andere scheinselbständige Freie können jederzeit vor dem Arbeitsgericht gegen ihren Arbeitgeber Klage auf Festanstellung erheben, dazu können sie parallel auch den Betriebs- oder Personalrat ihres Betriebs auffordern, sie ordnungsgemäß als Angestellte einzugruppieren. Wenn Freie jetzt im Rahmen von Prüfungen von ihren Arbeitgebern aufgefordert werden, neue Verträge zu unterzeichnen oder von jetzt an "der Arbeit fernzubleiben", sollte sofort Rat beim DJV eingeholt werden. In der Regel ist dann sofort Kündigungsschutzklage einzureichen, dazu haben Freie in der Regel nur drei Wochen Zeit.
Wer plötzlich nur noch mit befristeten "Freien-Verträgen" für sein Medium arbeiten soll, geht am besten ebenfalls mit Hilfe des DJV zu Gericht und erhebt eine so genannte Entfristungsklage.
Wenn der Arbeitgeber Sozialbeiträge nachzahlen muss, werden Freie durch eine Regelung im Sozialgesetzbuch geschützt. Danach dürfen Sozialbeiträge nur bei künftigen Zahlungen abgezogen werden, auch dann aber nur für die nächsten drei Monate und bis zur Pfändungsschutzgrenze. (Ehemals) Freie, die mit solchen Nachzahlungen konfrontiert werden, sollten spätestens dann allerdings ihrerseits Klage auf Nachzahlung von (Tarif-)Lohn und anderen sozialen Leistungen erheben, um sich ihren Teil vom erfolgten Abzug auf diese Weise wiederzuholen.
In jedem Fall sollten Freie extrem davor aufpassen, jetzt Erklärungen jedweder Art ohne vorherige Beratung durch den DJV zu unterschreiben. Sie sollten auch sang- und klanglose Beendigungen nicht akzeptieren. Fast immer können sie, selbst wenn sie keinen Kündigungsschutzstreit führen wollen, noch etwas Geld herausholen.
So rät der DJV scheinselbständigen, aber auch sonst echt selbständigen, aber gleichwohl arbeitnehmerähnlichen Freien dazu, ihren gesetzlichen Anspruch auf Urlaubsentgelt im Fall einer Beendigung der Mitarbeit geltend zu machen. Dieser Anspruch besteht gesetzlich praktisch in Höhe eines Monatshonorars. Wenn während der Mitarbeit nie Urlaubsentgelt gezahlt wurde, kann der Anspruch sogar mindestens für die letzten drei Jahre geltend gemacht werden.
In zahlreichen Streitfällen konnten Freie, die gehen mussten, mindestens diese drei Monatszahlungen herausholen. Natürlich sollte auch der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis durchgesetzt werden. Dabei macht der DJV aber auch darauf aufmerksam, dass drei Monatshonorare und ein Zeugnis nur eine geringe Kompensation für die Beendigung der Tätigkeit sind. Für Freie besteht ohne gerichtliche Klärung auch das Risiko des Verlustes von Sozialversicherungszeiten, die wichtig für Rentenansprüche sind, bis hin zu möglichen Nachzahlungsrisiken zwar nicht bei der Sozialversicherung, wohl aber der Lohnsteuer. Auch deswegen spricht alles dafür, dass Freie vor Gericht ziehen sollten mit dem Ziel, einen Arbeitsvertrag zu erhalten oder zumindest eine Regelung, mit der sie ordentliche Sozialversicherungszeiten, die Übernahme von Steuerschulden und die Abgeltung ihrer Sozialansprüche erhalten.
Wichtig: Der Rechtsschutz ist für Mitglieder im DJV in der Regel frühestens nach sechs Monaten Mitgliedschaft möglich. Daher ist Freien, auch und gerade denjenigen, bei denen eine Prüfung noch nicht stattgefunden hat, zu empfehlen, eine Mitgliedschaft im DJV anzustreben. Eine Rechtsvertretung oder Kostenübernahme ist für Nichtmitglieder leider nicht möglich, so spektakulär ihr Fall auch sein mag. Schon heute geht der weitaus überwiegende Teil der Rechtsschutzkosten im DJV an Freie, so dass die Arbeitszeit und Kostenetats der Rechtsschutzverantwortlichen schon jetzt sehr ausgefüllt ist.
Der DJV appelliert daher an Freie, im eigenen Interesse, aber auch im Interesse der Journalistengemeinschaft, in die Gewerkschaft, die gleichzeitig ein Berufsverband ist, einzutreten, um die notwendige Arbeits- und Aktionsfähigkeit zu erhalten. Die Mitgliedschaft im DJV ist möglich über den jeweiligen Landesverband. Neben Rechtsschutz gibt es zahlreiche andere Vorteile und Serviceangebote.
Wer die Mitgliedschaft nicht mehr rechtzeitig eingeht, muss in den sauren Apfel beißen und auf eigene Kosten zum Anwalt gehen. Auch hier allerdings ein kleiner Trost: Wer nur wenig Geld verdient, kann unter Umständen Prozesskostenhilfe erhalten. In der ersten Instanz muss jede Seiten die Kosten übrigens selbst tragen - ein Vorteil, falls der Prozess verloren geht, dafür auch nachteilhaft, wenn er gewonnen wird. Bei Mitgliedern mit Rechtsschutzanspruch werden solche Kosten natürlich übernommen.
Manche Freien haben die Sorge, sie könnten ihren "Ruf" durch eine Anstellungsklage ruinieren. Hier besteht durchaus Grund zu Gelassenheit. Zahlreiche seit Jahrzehnten in deutschen Medienhäusern tätige angestellte Redakteure haben solche Festanstellungsklagen hinter sich, und bei manchen Arbeitgebern haben sie durch ihre Klage erst den Respekt bekommen, den sie verdient haben.
Klar ist natürlich, dass eine Klage kein lockerer Spaziergang ins Eiscafé ist. Aber auch deswegen ist es immer am besten, mit der Beratung und der Unterstützung der Journalistengemeinschaft im DJV auf diesen Weg zu gehen, statt völlig allein für sich streiten zu müssen.
Michael Hirschler, hir@djv.de