VOICES FESTIVAL
Journalismus trifft Medienkompetenz
Nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, fand DJV-Vorstandsmitglied Ute Korinth in Florenz heraus.
"Wenn die Menschen sich von den Nachrichten abwenden, ist das der Tod der Demokratie”, sagt Divnia Frau-Meigs, renommierte Professorin und Expertin im Bereich Medien- und Informationskompetenz an der Sorbonne. Weiter fordert sie Journalist*innen auf, nicht von „Artificial Intelligence“ zu sprechen. „Was uns Sorgen bereitet, ist künstliche Information, nicht künstliche Intelligenz. So einfach ist das!”
KI als Werkzeug nutzen
In Zeiten, in denen die Technologie sich fast schneller entwickelt, als wir hinterherkommen, in der allein der Gedanke daran Befürchtungen und Ängste verursacht, ist nichts wichtiger als der Umgang damit. Es sind die Menschen, die entscheiden könnten, ob sie AI als Werkzeug oder als Waffe einsetzen.
Was also tun? Ein Festival ins Leben rufen, das Journalismus und Medienkompetenz vereint. Genau das haben die Organisator*innen EFJ, EUI, EBU, eavi, Journalisme, Lie Detectors und SavoirDevenir sich gedacht und vom 14. bis 16. März das erste „European Festival of Journalism and Media Literacy“ mit dem Namen „Voices“ in Florenz umgesetzt.
1.300 Menschen in der Stazione Leopolda
1.300 Menschen kamen in die wunderschöne Stazione Leopolda – einen ehemaligen Bahnhof aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der einst von dem Architekten Enrico Presenti im neoklassischen Stil entworfen wurde und heute nichts von seinem Charme verloren hat. Ein Ort, der Altes und Neues vereint, passend für ein Event, in dem es um die Veränderung in der Beziehung zu Informationen, um die Auseinandersetzung mit KI und die dringend notwendige Befähigung aller Menschen geht, diese bahnbrechend schnellen Veränderungen zu bewältigen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.
Faktenchecks, Cybersecurity, Empowerment
Das Ergebnis: Zwei inspirierende Tage, insgesamt 70 Vortragende, interaktive Workshops, Panels, Ausstellungen, ganz viel Networking. Journalismus und Faktenchecks, Eltern-Empowerment in der digitalen Welt, ein Talk mit DG MEME, Fabio Mauri, der mal eben auf herrlich satirische Art und Weise die Europäische Union in Memes erklärte.
Eine extrem beeindruckende Diskussion mit dem Titel „We are humans, hear our stories – Safety of Journalists“, in der Journalist*innen über ihre traumatischen Erlebnisse berichteten, sorgte für gebannte und betroffene Atmosphäre. Workshops zu Cybersecurity und Field First Aid mit Grant Wootton von der EBU-Academy vermittelten wertvolle Tipps. Wo muss ich drücken, damit der Blutfluss unterbrochen ist und eine Wunde nicht weiter blutet, wie kann ich eine Lage richtig einschätzen? Wichtige Infos, die im Notfall Leben retten können, auch wenn sie mitten im toskanischen Florenz weit weg wirken. Doch leider gehören sie für viele Journalist*innen, vor allem in Kriegsgebieten, zum Alltag.
Das Publikum mit an Bord holen
Die Worte von Divina Frau-Meigs fielen in einem Panel zum Thema „AI and Journalism: navigating the intersection of economics, ethics, policy and democracy”. Sie sprach über die Wichtigkeit, dass Journalist*innen ihr Publikum mit an Bord holen und diese nicht ausschließlich wie Nutzer*innen oder Kund*innen betrachten. Sie möchte wissen, was wer in die AI gespeist hat und pocht darauf, dass Journalist*innen, deren Inhalte genutzt wurden, dafür entlohnt werden. Weiter sagt sie: „Bitte sprecht nicht von KI-Halluzinationen, das sind Fehler.“
Zusammenarbeit statt Konkurrenz
Die Keynote zu diesem Panel lieferte Jyri Kivimäki, finnischer Journalist und Autor, der für YLE, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Finnlands, arbeitet. Er präsentierte diverse Beispiele, wie sein Team AI nutzt, wie es gelingt, neue Techniken für alle nutzbar zu machen. Schritt für Schritt und in agiler Vorgehensweise. Wertvolle Prompts und Weiterentwicklungen werden allen Journalist*innen zur Verfügung gestellt, sodass nicht jeder jeden Fehler selbst machen muss. Es geht ums Miteinander.
Der Mensch muss das letzte Wort haben
YLE nutzt die KI, um repetitive Aufgaben erledigen zu lassen, für die Zusammenfassung von Lesermeinungen, zur Datenanalyse und weitere Tätigkeiten, die viel Zeit kosten. Stattdessen kann nun Zeit gespart und in Aufgaben investiert werden, die journalistische Kreativität und Interaktion benötigen. Doch auch YLE nutzt die KI natürlich nicht ohne Guidelines. Und die sind es, die notwendig sind, denn auch für Kivimäki ist wichtig, dass der Mensch immer das letzte Wort bzw. die Kontrolle über das hat, was veröffentlicht wird. „Entscheidungen werden von Menschen getroffen, und unser Einsatz von künstlicher Intelligenz erfolgt offen, transparent und unterstützt unabhängige Entscheidungen” sind nur zwei der Punkte, die zu den “Common Rules” von YLE gehören.
Journalismus als Public Good
Über dringend notwendige Regeln spricht auch Urska Umek vom Council of Europe. Sie stellt die “Guidelines on the responsible implementation of artificial intelligence systems in journalism” vor. Auch darin geht es um Transparenz, um den ethischen Umgang mit KI, um Menschenrechte und den verantwortungsbewussten Umgang mit den neuen Tools, um dem Entgegenwirken von Diskriminierung, um Risikomanagement und den Journalismus als „Public Good“, dessen Wichtigkeit auch EFJ-Dirketorin Renate Schroeder in einem anderen Panel betont. „Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, wir brauchen Zusammenarbeit“, sagt auch Umek.
Medien als vertrauenswürdige Informationsquelle
Eine massive Gefahr für den Ausgang der anstehenden Wahlen im Superwahljahr 2024 sieht Ali Ali-Abbas von der OFCOM. Er hofft, dass sich die Menschen an vertrauenswürdige Informationsquellen wenden und diese in Medien sehen, da Desinformation immer mehr wird. „Meine echte Sorge ist, dass sich die Menschen völlig von den Nachrichten abwenden.“
Aber wie kann das verhindert werden? Nicht nur Kivimäki, auch die anderen Panelteilnehmer*innen sind sich einig, dass die Menschen verstehen müssen, wie KI funktioniert und neue Fähigkeiten erlernen müssen, um so mit ihr umzugehen, damit sie nicht Waffe, sondern wertvolles Werkzeug wird. Fest steht auch, dass unabhängiger Journalismus das beste Gegenmittel gegen Desinformation ist.
Medien- und Informationskompetenz sind entscheidend
Um den demokratischen Herausforderungen im Zusammenhang mit KI zu begegnen, müssen laut Divina Frau-Meigs alle Beteiligten mobilisiert werden: Journalisten, aber auch die Zivilgesellschaft und Kulturvermittler. EMI (Empowerment through Media and Information Literacy) sei von entscheidender Bedeutung und sollte in das Design der Informations-KI integriert werden, sagt sie weiter.
Fakt ist, es gibt viele unterschiedliche Guidelines von unterschiedlichen Institutionen und Menschen – hier sei zum Beispiel auch die Paris Charter on AI and Journalism genannt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob nicht noch mehr erreicht werden könnte, wenn Expertenwissen gebündelt in einer für alle gültigen Guideline festgehalten würde.
Fakt ist ebenfalls, dass die Welt sich verändert hat und es dringend neuer Methoden bedarf, um KI so einzusetzen, dass sie unterstützt statt schadet.
Zweite Ausgabe des „Voices“-Festival in Kroatien
Und Fakt ist auch, dass dieses erste “Voices“-Festival den Nerv der Zeit traf. Denn nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Die nächste Ausgabe des „Voices“ Festivals wird im Februar 2025 in Zagreb stattfinden.
Ein Kommentar von Ute Korinth