Mitglied werden
Login Logout Mitglied werden
Warenkorb

Belarus

Verwirrt, verirrt, verzögert

25.05.2021

Wenn das Regime in Belarus ein Flugzeug zur Landung zwingt, einen Journalisten und Regime-Kritiker entführt, festnimmt und mutmaßlich foltert, dann sollte man mit eindeutigen Reaktionen in Deutschland und Europa rechnen - für die Presse- und Meinungsfreiheit, für die Sicherheit von Journalist:innen in ganz Europa. Die gab es zwar auch. Doch während es klar ist, dass Journalismus in Belarus offenbar ein Verbrechen ist, müssen einige Reaktionen in Deutschland und Europa daran zweifeln lassen, wie es um den Rückhalt für das Menschenrecht Pressefreiheit aussieht.

Es gab sie - stabile Reaktionen. Nachdem das belarussische Regime eine Ryanair-Maschine zur Landung in Minsk zwang, der regierungskritische Journalist Roman Protassewitsch aus der Maschine entführt wurde und dieser nun Angst hat, ihm drohe die Todesstrafe, äußerte sich Ryanair-Chef Michael O’Leary unmisserständlich, ohne zu zögern. Den Vorfall nannte er "Piraterie" und "Entführung". Auch einige Staaten reagierten umgehend - Litauen und die Ukraine erklärten für alle startenden und landenden Maschinen den Luftraum über Belarus als tabu, Großbritannien hat die Betriebserlaubnis für die staatliche Airline Belavia ausgesetzt.
Eigentlich sind es Selbstverständlichkeiten, dass sich Unternehmen, Staaten und Personen für das Menschenrecht Pressefreiheit einsetzen und sich an die Seite jener stellen, die von Staaten entführt werden, um sie einzuschüchtern. Journalismus ist kein Verbrechen, sondern eine Aufgabe, die für jede Gesellschaft wichtig ist. Um so mehr verwundern Reaktionen, die verirrt, verwirrt erscheinen.
Die Lufthansa etwa hat sich nach dem Vorfall ganz schön verflogen. Das, was die Airline auf Twitter als ersten Satz in ihrer "Bio" über sich schreibt, klingt zunächst beruhigend: "Deine Sicherheit hat für uns höchste Priorität." Doch am Sonntag und Montag scheint diese offenbar für Journalist:innen oder Kritiker:innen des belarussischen Regimes nicht ganz so hohe Priorität genossen zu haben. Das mit Milliardenbeträgen vom deutschen Staat gerettete Unternehmen reagierte zunächst gar nicht. Dann teilte es mit, die Situation weiter beobachten zu wollen - und währenddessen auch weiter über belarussisches Staatsgebiet zu fliegen. Wohlwissend und in Kauf nehmend, dass Lufthansa so an Bord befindliche Journalist:innen oder Regime-Gegner:innen in Gefahr bringt, in Lebensgefahr.
Auch dass ein Airbus der Kranich-Linie in Minsk - erneut nach einer wohl fingierten Bombendrohung - zunächst nicht starten durfte und vom Regime gefilzt wird, brachte Lufthansa zunächst nicht zum Einlenken. Auf seinem Twitter-Account fragte am Pfingstmontag der Deutsche Journalisten-Verband, ob der Konzern seine Haltung ernst meine - eine Frage, die fleißig von Nutzern über den ganzen Tag geteilt wurde. Was aber weiter über Stunden zu keiner Reaktion führte. Ja, man musste wohl mutmaßen, ob es am Ende daran lag, dass die Airline gute Beziehungen zu Minsk unterhält und das Flugzeug von Diktator Lukaschenko wartet? Zum Glück ruderte die Kranich-Airline am Ende doch noch zurück - am Abend, pünktlich zur Tagesschau, kam dann die Meldung, man werde zunächst nicht mehr über Lukaschenkos Einflussbereich steuern. Spät, aber immerhin noch ganz knapp freiwillig. Etwa eine Stunde später folgte der EU-Beschluss, der es der Lufthansa und allen anderen EU-Airlines verbietet, über weißrussisches Staatsgebiet zu fliegen. Gerade noch die Kurve gekriegt.
Das Verhalten der Lufthansa war dabei leider kein Einzelfall. Die EU-Verkehrs-Kommissarin Adina Velean etwa leistete sich auf Twitter die Aussage, der Weiterflug der Ryanair-Maschine von Minsk nach Vilnius nach der erzwungenen Landung bedeute "großartige Nachrichten" für die Familien und Freunde der Passagiere an Bord. Sicher - das war es auch. Außer für die Familie und Freunde jenes Kollegen, der nun in belarussischer Haft auf ein mögliches Todesurteil wartet. Hier musste Ursula von der Leyen (CDU) eingreifen und ihre verirrte Kommissarin wieder auf Kurs bringen.
Mit ihrem Beschluss von Montagabend hat die EU dann doch noch Einigkeit gezeigt. Vor allem die Sperrung des Luftraums, Einreise- und Kontosperrungen, Prüfung von Wirtschaftssanktionen - Europa zeigt, dass es das Handeln der Diktatur nicht akzeptiert und Stoppzeichen setzt. Gut so, beim anfänglichen Schlingerkurs hätte man schon fast Angst bekommen, am Ende gäbe es ein Einknicken vor Minsk - und dem großen Bruder in Moskau.
Ein Kommentar von Mika Beuster

Internationales Pressefreiheit DJV-Blog

Weitere Artikel im DJV-Blog

Charlotte Merz
Charlotte Merz

15.05.2024

Die Richterin und das Grundrecht Pressefreiheit

Mit ihrem resoluten Vorgehen gegen einen ZDF-Reporter offenbart Richterin Charlotte Merz ein fragwürdiges Verhältnis zum Grundrecht der Pressefreiheit.

Mehr
STREIK BEIM WDR
STREIK BEIM WDR

07.05.2024

Gier auf Kosten der Freien

Dass Medienunternehmen in Tarifverhandlungen knauserig sind, ist nicht neu. Dass manche von ihnen erst durch Arbeitskämpfe zu besseren Angeboten zu bewegen sind, auch nicht. Dass aber die Honorare der …

Mehr
RAI
RAI

06.05.2024

Legt die Arbeit nieder

Beim italienischen Fernsehsender RAI wird heute gestreikt. Nicht für mehr Geld oder neue Tarifverträge, sondern gegen die Einmischungen der Regierung in die Programminhalte.

Mehr
ITALIEN
ITALIEN

26.04.2024

Hände weg von der RAI

Die Versuche der politischen Einflussnahme durch die Regierung Meloni auf den Rundfunksender RAI nehmen zu. Anfang Mai soll es deshalb einen Streik geben.

Mehr
MEDIENKRITIK
MEDIENKRITIK

25.04.2024

Til Schweiger überzieht

Im Interview mit der Zeit übt Schauspieler und Regisseur Til Schweiger heftige Kritik an einigen Medien. Das kann nach der Berichterstattung über ihn nicht verwundern. Aber bei Kritik belässt er es ni …

Mehr
WDR-RUNDFUNKRAT
WDR-RUNDFUNKRAT

24.04.2024

Zeichen gesetzt

Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks fordert von dem Sender rechtliche Schritte, wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags von der Politik nicht zügig beschlossen wird.

Mehr
JOURNALISTEN
JOURNALISTEN

22.04.2024

Wir sind kein Klischee

Warum nur geraten Journalisten im Spielfilm so gnadenlos daneben? Weil die Drehbuchschreiber keine Ahnung vom Journalismus haben? Oder weil sich das Klischee besser verkauft als die Wirklichkeit?

Mehr
URLAUBSENTGELT
URLAUBSENTGELT

19.04.2024

Freie, aufgepasst!

Freie beim Deutschlandradio haben Anspruch darauf, dass Wiederholungshonorare für die Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurt …

Mehr
TARIFKONFLIKT
TARIFKONFLIKT

17.04.2024

Hoch zu Ross

750 Beschäftigte des Westdeutschen Rundfunks hatten gestern die Nase voll und beteiligten sich am Warnstreik der Gewerkschaften. Bestätigt wurden sie von den Verhandlern der Gegenseite.

Mehr
PROSIEBENSAT.1
PROSIEBENSAT.1

16.04.2024

Berlusconi ante portas

Droht der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 von Hauptaktionär Media for Europe übernommen zu werden? Die Medienaufsicht sollte ihren Blick schärfen.

Mehr
FERNSEHNACHRICHTEN
FERNSEHNACHRICHTEN

15.04.2024

Angekündigte Katastrophe

Mehrere Stunden lang flogen iranische Drohnen Richtung Israel. Stunden, in denen die Öffentlich-Rechtlichen ihr Programm hätten umkrempeln können. Doch bis zu Sondersendungen in ARD und ZDF vergingen  …

Mehr
SWMH
SWMH

11.04.2024

Tröpfchen-Kommunikation

Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der die Süddeutsche Zeitung gehört, tut sich schwer mit klaren und umfassenden Fakten zum geplanten Stellenabbau bei der SZ.

Mehr
ÜBERGRIFFE
ÜBERGRIFFE

09.04.2024

Nicht mehr so schlimm?

Laut Reporter ohne Grenzen ist die Zahl der Übergriffe auf Journalisten 2023 gegenüber dem Vorjahr stark gesunken. Grund zur Entwarnung? Eher nicht.

Mehr
HÖCKE-INTERVIEWS
HÖCKE-INTERVIEWS

08.04.2024

Mit Präzision begegnen

Wie lassen sich Interviews mit Thüringens AfD-Politiker Björn Höcke führen? Sollten sie überhaupt geführt werden? Damit hat sich die Süddeutsche Zeitung in einem lesenswerten Bericht auseinandergesetz …

Mehr
FÖDERL-SCHMID
FÖDERL-SCHMID

05.04.2024

Hexenjagd geht weiter

Die Universität Salzburg bescheinigt der stellvertretenden SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten". Sie darf ihren Doktortitel behalten. Das sieht …

Mehr
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST

04.04.2024

Nah am Rand

Über das "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" sind die notorischen Medienhasser in den Social Media aus dem Häuschen. Bei aller berechtigten Kritik an den Öffentli …

Mehr
KÖLNER STADT-ANZEIGER
KÖLNER STADT-ANZEIGER

03.04.2024

Vermarkter am Ruder

Die Online-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers soll der digitalen Produktentwicklung unterstellt werden und angeblich redaktionell unabhängig bleiben. Zweifel sind angebracht.

Mehr
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

28.03.2024

Die Leser sind nicht blöd

Zeitungsleser wollen für Inhalte, die mit KI erzeugt werden, weniger bezahlen. Das ergab eine Umfrage. Eigentlich eine klare Aussage - wären da nicht Marketingexperten, die Morgenluft wittern.

Mehr
VOICES FESTIVAL
VOICES FESTIVAL

27.03.2024

Journalismus trifft Medienkompetenz

Nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, fand DJV-Vorstandsmitglied Ute Korinth in Florenz heraus.

Mehr
TELEGRAM
TELEGRAM

26.03.2024

Schluss mit lustig

Ein spanisches Gericht hat den Messengerdienst Telegram in dem Land abgeschaltet. Grund sind Verstöße gegen das Urheberrecht.

Mehr