Arbeitslosenversicherung
Verlängerung der kurzen Anwartschaftszeit beschlossen - aber keine Reform
Bundesregierung redet von "Arbeit 4.0", bleibt aber bei veralteten Regelungen
Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat auf seiner Sitzung am 11. November die Verlängerung der Regelungen zur kurzen Anwartschaftszeit in der Arbeitslosenversicherung beschlossen. Es gilt daher als sicher, dass die Regelung vom Bundestag in Kürze beschlossen wird.
Hintergrund: Die Regelung in § 142 Absatz Sozialgesetzbuch III sieht vor, dass bestimmte Personengruppen einen Anspruch bereits dann erwerben können, wenn sie innerhalb von zwei Jahren auf insgesamt 180 Beschäftigungstage kommen, an denen sie Arbeitslosenversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Normalerweise sind für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I 360 Tage erforderlich. Bedingung für die 180-Tage-Regelung ist im Gegensatz zur 360-Tage-Regelung, dass mehr als 90 Tage aus kurzen Einsätzen bestehen. Als Kurzeinsätze gelten Beschäftigungszeiten, die auf nicht mehr als zehn Wochen befristet sind.
In verschiedenen Branchen, darunter die Rundfunkanstalten und die Filmindustrie, werden Mitarbeiter nur tageweise oder für kurze Zeiträume von ihren Arbeitgebern versichert. Das gilt selbst dann, wenn die Mitarbeiter für ihre Arbeit faktisch längere Zeit engagieren, weil sie beispielsweise Recherchen ausführen oder - bei Schauspielern - die Drehbücher studieren. Abgerechnet wird oft nur der Tag der Sendung eines Beitrags oder die Tage der Verfilmung. Damit kommen die Beschäftigten trotz Vollzeitjob nur auf wenige offizielle Arbeitstage im Monat.
Der DJV hat in der Vergangenheit wiederholt die so genannte "Durchversicherung" der Freien an Rundfunkanstalten gefordert. Denn nach den Bestimmungen der Sozialversicherung sind Freie schon dann für den ganzen Monat zu versichern (also mit 30/31 Beschäftigungstagen), wenn sie regelmäßig mindestens einen Tag pro Monat arbeiten - es gibt sogar Ansichten, die auch kürzere Zeiten genügen lassen, solange die Beschäftigung über Jahre hinweg regelmäßig erfolgt. Eine Reihe von Rundfunkanstalten hat sich dieser Ansicht in den letzten Jahren auch angeschlossen und versichert ihre Freie entsprechend. Diese Mitarbeiter erwerben die notwendigen 360 Tage daher schon in einem einzigen Jahr. Immer noch gibt es aber noch Rundfunkanstalten, bei denen die Freien nur tageweise beschäftigt werden.
Die Regelung zur kurzen Anwartschaftszeit ist daher für diese Personengruppe grundsätzlich die richtige Maßnahme, solange keine Durchversicherung durchsetzbar ist. Gleichzeitig weist die Bestimmung aber einen Pferdefuß auf, so sind anspruchsberechtigt nur Personen, die unter 34.020 Euro im Jahr verdienen. Aus diesem Grund hatten der DJV und - separat vom DJV - Verbände der Film Forderungen nach einer Reform der Regelung erhoben. Zu den Verbesserungsvorschlägen gehören die Abschaffung der Grenze von 34.020 Euro, eine Verkürzung der 180-Tage-Regelung auf 120 Tage sowie - auch alternativ - die Ausweitung des Bezugszeitraums von zwei auf drei Jahre. Denn es gibt eine Menge von Freien, die nicht einmal auf die 180 Tage innerhalb von zwei Jahren kommen. Diese zahlen bisher in die Arbeitslosenversicherung ein, ohne einen Leistungsanspruch zu erhalten. Ein Teil dieser Forderungen wurden auch von der LINKEN und den GRÜNEN unterstützt.
Die jetzt beschlossene Verlängerung der Regelung erscheint daher zunächst einmal als begrüßenswerte "Besitzstandsregelung", zeigt aber auch, dass die Bundesregierung derzeit keine innovativen Vorschläge in der Sache machen kann oder will. Die Reform ist letztlich nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben, denn erneut ist die Regelung nur befristet wirksam. Der DJV fordert daher von der Bundesregierung, jetzt zügig Kurs auf eine grundlegende Reform zu nehmen, bevor die Legislaturperiode ausläuft. Auch der DJV-Verbandstag formulierte entsprechende Forderungen im Jahr 2014 und zuletzt Anfang November 2015.
Zugleich bleibt das Problem der Arbeitslosenversicherung für die Gruppe der selbständigen Freien, also denjenigen, die nicht über Rundfunkanstalten versichert sind, ungelöst. Selbständige Journalisten können sich gegen das Risiko der Arbeitslosenversicherung nur versichern, wenn sie nach einem Bezug von Arbeitslosengeld I oder einem Arbeitsverhältnis in die Selbständigkeit gehen; dann haben sie drei Monate lang Zeit zur Meldung zur Versicherung. Wer nie in einem Arbeitsverhältnis war oder die Frist versäumt hat, hat gar keine Chance. Zudem erscheinen manchen Freien auch die monatlichen Kosten von 85 Euro im Westen / 75 Euro im Osten als recht hoch. In einer Bundestagsdebatte Anfang Oktober ließ die CDU/CSU Überlegungen erkennen, hier unterschiedliche freiwillige Tarife einzuführen. Eine Ausweitung auf alle Selbständigen wurde allerdings nicht in Aussicht gestellt.
Insgesamt erscheint die Politik der Bundesregierung hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung der kurzzeitig Beschäftigten sowie der Selbständigen wenig innovativ. In einer Zeit, in der die Bundesarbeitsministerin unter der Losung "Arbeit 4.0" einen aufwändigen Tagungs- und Debattenzirkus veranstaltet, ist das ein schwaches Zeichen. Denn eine moderne Arbeitswelt erfordert eine Arbeitslosenversicherung, die auf das ständig wechselnde Feld von Auftraggeber eingeht, die nur kurzzeitig beschäftigen, manchmal selbständige Aufträge herausgeben und dann wiederum monatelang gar keine Aufträge bieten.
Der DJV appelliert an alle Verbände und Gewerkschaften, sich des Themas anzunehmen und in dieser Frage zu koordinieren. Auch wenn Teile der Interessensverbände der Filmbeschäftigten derzeit der Auffassung sind, dass es sich allein um Probleme der Beschäftigten im Film handelt, betrifft es auch andere Beschäftigte, wie die Freien an Rundfunkanstalten, - darüber hinaus aber auch zahlreiche andere Gruppen der Kulturindustrie. Die Problematik betrifft zudem Sektoren außerhalb der Kultur- und Medienbranche, so meldeten sich beim DJV bereits Beschäftigte aus Hafenbetrieben und Waren-Einräumer/innen aus dem Handel. Auch hier wird arbeitslosenversichert, aber nur für wenige Tage, - ein Problem also der gesamten modernen Arbeitswelt.
Interessierte Verbandsvertreter können sich an das DJV-Referat Freie Journalisten wenden, am einfachsten per Mail hir@djv.de
Michael Hirschler, hir@djv.de