Mitglied werden
Login Logout Mitglied werden
Warenkorb

Arbeitslosenversicherung

Verlängerung der kurzen Anwartschaftszeit beschlossen - aber keine Reform

12.11.2015

Bundesregierung redet von "Arbeit 4.0", bleibt aber bei veralteten Regelungen


Der Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat auf seiner Sitzung am 11. November die Verlängerung der Regelungen zur kurzen Anwartschaftszeit in der Arbeitslosenversicherung beschlossen. Es gilt daher als sicher, dass die Regelung vom Bundestag in Kürze beschlossen wird.

Hintergrund: Die Regelung in § 142 Absatz Sozialgesetzbuch III sieht vor, dass bestimmte Personengruppen einen Anspruch bereits dann erwerben können, wenn sie innerhalb von zwei Jahren auf insgesamt 180 Beschäftigungstage kommen, an denen sie Arbeitslosenversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Normalerweise sind für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I 360 Tage erforderlich. Bedingung für die 180-Tage-Regelung ist im Gegensatz zur 360-Tage-Regelung, dass mehr als 90 Tage aus kurzen Einsätzen bestehen. Als Kurzeinsätze gelten Beschäftigungszeiten, die auf nicht mehr als zehn Wochen befristet sind.

In verschiedenen Branchen, darunter die Rundfunkanstalten und die Filmindustrie, werden Mitarbeiter nur tageweise oder für kurze Zeiträume von ihren Arbeitgebern versichert. Das gilt selbst dann, wenn die Mitarbeiter für ihre Arbeit faktisch längere Zeit engagieren, weil sie beispielsweise Recherchen ausführen oder - bei Schauspielern - die Drehbücher studieren. Abgerechnet wird oft nur der Tag der Sendung eines Beitrags oder die Tage der Verfilmung. Damit kommen die Beschäftigten trotz Vollzeitjob nur auf wenige offizielle Arbeitstage im Monat.

Der DJV hat in der Vergangenheit wiederholt die so genannte "Durchversicherung" der Freien an Rundfunkanstalten gefordert. Denn nach den Bestimmungen der Sozialversicherung sind Freie schon dann für den ganzen Monat zu versichern (also mit 30/31 Beschäftigungstagen), wenn sie regelmäßig mindestens einen Tag pro Monat arbeiten - es gibt sogar Ansichten, die auch kürzere Zeiten genügen lassen, solange die Beschäftigung über Jahre hinweg regelmäßig erfolgt. Eine Reihe von Rundfunkanstalten hat sich dieser Ansicht in den letzten Jahren auch angeschlossen und versichert ihre Freie entsprechend. Diese Mitarbeiter erwerben die notwendigen 360 Tage daher schon in einem einzigen Jahr. Immer noch gibt es aber noch Rundfunkanstalten, bei denen die Freien nur tageweise beschäftigt werden.

Die Regelung zur kurzen Anwartschaftszeit ist daher für diese Personengruppe grundsätzlich die richtige Maßnahme, solange keine Durchversicherung durchsetzbar ist. Gleichzeitig weist die Bestimmung aber einen Pferdefuß auf, so sind anspruchsberechtigt nur Personen, die unter 34.020 Euro im Jahr verdienen. Aus diesem Grund hatten der DJV und - separat vom DJV - Verbände der Film Forderungen nach einer Reform der Regelung erhoben. Zu den Verbesserungsvorschlägen gehören die Abschaffung der Grenze von 34.020 Euro, eine Verkürzung der 180-Tage-Regelung auf 120 Tage sowie - auch alternativ - die Ausweitung des Bezugszeitraums von zwei auf drei Jahre. Denn es gibt eine Menge von Freien, die nicht einmal auf die 180 Tage innerhalb von zwei Jahren kommen. Diese zahlen bisher in die Arbeitslosenversicherung ein, ohne einen Leistungsanspruch zu erhalten. Ein Teil dieser Forderungen wurden auch von der LINKEN und den GRÜNEN unterstützt.

Die jetzt beschlossene Verlängerung der Regelung erscheint daher zunächst einmal als begrüßenswerte "Besitzstandsregelung", zeigt aber auch, dass die Bundesregierung derzeit keine innovativen Vorschläge in der Sache machen kann oder will. Die Reform ist letztlich nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben, denn erneut ist die Regelung nur befristet wirksam. Der DJV fordert daher von der Bundesregierung, jetzt zügig Kurs auf eine grundlegende Reform zu nehmen, bevor die Legislaturperiode ausläuft. Auch der DJV-Verbandstag formulierte entsprechende Forderungen im Jahr 2014 und zuletzt Anfang November 2015.

Zugleich bleibt das Problem der Arbeitslosenversicherung für die Gruppe der selbständigen Freien, also denjenigen, die nicht über Rundfunkanstalten versichert sind, ungelöst. Selbständige Journalisten können sich gegen das Risiko der Arbeitslosenversicherung nur versichern, wenn sie nach einem Bezug von Arbeitslosengeld I oder einem Arbeitsverhältnis in die Selbständigkeit gehen; dann haben sie drei Monate lang Zeit zur Meldung zur Versicherung. Wer nie in einem Arbeitsverhältnis war oder die Frist versäumt hat, hat gar keine Chance. Zudem erscheinen manchen Freien auch die monatlichen Kosten von 85 Euro im Westen / 75 Euro im Osten als recht hoch. In einer Bundestagsdebatte Anfang Oktober ließ die CDU/CSU Überlegungen erkennen, hier unterschiedliche freiwillige Tarife einzuführen. Eine Ausweitung auf alle Selbständigen wurde allerdings nicht in Aussicht gestellt.

Insgesamt erscheint die Politik der Bundesregierung hinsichtlich der Arbeitslosenversicherung der kurzzeitig Beschäftigten sowie der Selbständigen wenig innovativ. In einer Zeit, in der die Bundesarbeitsministerin unter der Losung "Arbeit 4.0" einen aufwändigen Tagungs- und Debattenzirkus veranstaltet, ist das ein schwaches Zeichen. Denn eine moderne Arbeitswelt erfordert eine Arbeitslosenversicherung, die auf das ständig wechselnde Feld von Auftraggeber eingeht, die nur kurzzeitig beschäftigen, manchmal selbständige Aufträge herausgeben und dann wiederum monatelang gar keine Aufträge bieten.

Der DJV appelliert an alle Verbände und Gewerkschaften, sich des Themas anzunehmen und in dieser Frage zu koordinieren. Auch wenn Teile der Interessensverbände der Filmbeschäftigten derzeit der Auffassung sind, dass es sich allein um Probleme der Beschäftigten im Film handelt, betrifft es auch andere Beschäftigte, wie die Freien an Rundfunkanstalten, - darüber hinaus aber auch zahlreiche andere Gruppen der Kulturindustrie. Die Problematik betrifft zudem Sektoren außerhalb der Kultur- und Medienbranche, so meldeten sich beim DJV bereits Beschäftigte aus Hafenbetrieben und Waren-Einräumer/innen aus dem Handel. Auch hier wird arbeitslosenversichert, aber nur für wenige Tage, - ein Problem also der gesamten modernen Arbeitswelt.

Interessierte Verbandsvertreter können sich an das DJV-Referat Freie Journalisten wenden, am einfachsten per Mail hir@djv.de


Michael Hirschler, hir@djv.de

DJV-Freie Soziales
Freie Journalisten Soziales

Weitere Artikel im DJV-Blog

Kennzeichnungen
Kennzeichnungen

20.11.2024

Werbung ist Werbung

Warum kennzeichnen Zeitungen und Zeitschriften kommerzielle Angebote nicht durchweg als "Werbung"? Stattdessen wird immer häufiger gern von "Verlagsangeboten" geschrieben - und dabei übersehen, dass d …

Mehr
Trump und die Presse
Trump und die Presse

15.11.2024

Zieht euch warm an

Alle vier Jahre grüßt das Murmeltier. Oder Donald Trump. Wer hätte gedacht, dass der Ex-US-Präsident noch einmal als Kandidat antreten wird? Und wer hätte gedacht, dass dieser Kandidat die Wahl gewinn …

Mehr
Koalitions-Aus
Koalitions-Aus

07.11.2024

Ende zur Unzeit

Das Ende der Ampelkoalition kommt für uns Journalisten zur Unzeit. Wichtige Gesetzesvorhaben liegen jetzt wieder auf Eis. Das Nachsehen hat die Qualität des Journalismus.

Mehr
US-Wahl
US-Wahl

05.11.2024

Despotie zum zweiten?

Heute entscheiden die Wählerinnen und Wähler in den USA darüber, wer für die nächsten vier Jahre ins Weiße Haus einzieht. Vom Ausgang der Wahl hängt viel ab - auch für die Journalistinnen und Journali …

Mehr
Wahlen
Wahlen

01.11.2024

Wie gut wir es doch haben

In den USA tobt wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl eine mediale Schlammschlacht. CNN und Fox News überbieten sich gegenseitig mit Polemiken über Kamala Harries und Donald Trump. Und in der Öffen …

Mehr
Journalistenbefragung
Journalistenbefragung

30.10.2024

So sind wir wirklich

Eine großangelegte Studie zum Journalismus in Deutschland hat die TU Dortmund durchgeführt. Rechtsextreme versuchen bereits, daraus Honig zu saugen.

Mehr
US-Wahlempfehlungen
US-Wahlempfehlungen

29.10.2024

Wo die Erde bebt

Weil die Washington Post auf Geheiß von Eigentümer Jeff Bezos keine Wahlempfehlung vor der US-Präsidentschaftswahl abgibt, laufen ihr die Abonnenten in Scharen davon. Der erste spektakuläre Fall, bei  …

Mehr
Ministerpräsidentenkonferenz
Ministerpräsidentenkonferenz

28.10.2024

In die Büsche geschlagen

Die Ministerpräsidenten haben mit ihren Entscheidungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor allem eines gezeigt: dass sie kein medienpolitisches Rückgrat haben. Blamabel.

Mehr
Tag der Entscheidung
Tag der Entscheidung

25.10.2024

Was muss noch passieren?

Heute beraten die Ministerpräsidenten über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Begleitet von Protesten der Kreativszene wollen die Länderchefs den Reformstaatsvertrag und damit das Aus f …

Mehr
Reformstaatsvertrag
Reformstaatsvertrag

24.10.2024

Online ohne Inhalte

Ein Teil des umstrittenen Reformstaatsvertrags ist der Versuch, die Presseähnlichkeit öffentlich-rechtlicher Digitalangebote ein für allemal zu unterbinden. Was das für die User bedeutet, hat die Tage …

Mehr
Journalismus
Journalismus

22.10.2024

Warum mache ich das - noch?

Das NDR-Medienmagazin Zapp hat eine beeindruckende Reportage über uns Journalisten und unser Umfeld gedreht. Eine Bestandsaufnahme mit Gruselfaktor.

Mehr
Gemeinnütziger Journalismus
Gemeinnütziger Journalismus

01.10.2024

Alles, nichts - oder?

Der gemeinnützige Journalismus braucht Rechtssicherheit. Warum das so ist, beschreibt Anne Webert, stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende.

Mehr
Christopher Street Day
Christopher Street Day

30.09.2024

Wie eine Frischzellenkur

Bei mehreren CSD-Paraden war der DJV in diesem Sommer aktiv dabei. Eine Bilanz zieht Christian Schäfer-Koch, Vorsitzender des DJV-Fachausschusses Chancengleichheit und Diversity.

Mehr
Christoph Maria Fröhder
Christoph Maria Fröhder

25.09.2024

Ein Top-Journalist ist tot

Im Alter von 81 Jahren ist der freie Fernsehjournalist Christoph Maria Fröhder gestorben. - Ein Nachruf von DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner.

Mehr
BDZV
BDZV

20.09.2024

Wir hätten da eine Idee, Herr Eggers

Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) bekommt einen neuen Hauptgeschäftsführer. Womit Jörg Eggers Geschichte schreiben könnte.

Mehr
ZDF-Streik
ZDF-Streik

19.09.2024

Wo bleibt die Aktualität?

Heute streiken die Beschäftigten des ZDF für höhere Einkommen. Aufgerufen hat unter anderem der DJV. Der Sender hat bereits reagiert und den Zuschauern am frühen Vormittag eine Voraufzeichnung des ZDF …

Mehr
Rechtsprechung
Rechtsprechung

18.09.2024

Reizschwelle Hitlergruß

Zum berüchtigten Sylt-Video gibt es jetzt zwei Gerichtsurteile, die sich scheinbar widersprechen. Aber nur scheinbar. Für Medien wird jetzt vieles klarer.

Mehr
BSW-Parteitage
BSW-Parteitage

16.09.2024

Wir müssen leider draußen bleiben

Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat tatsächlich zwei Landesverbände gegründet, als seien die Parteitage Kaffeekränzchen in der guten Stube. Ein schlechtes Omen für das Verfassungsverständnis der neuen P …

Mehr
BSW
BSW

11.09.2024

Die nächsten Mediennörgler

Die Süddeutsche Zeitung hat untersucht, wie es das Bündnis Sahra Wagenknecht mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hält. Das Ergebnis aus journalistischer Sicht: Prost Mahlzeit.

Mehr
Doku "Die große Angst"
Doku "Die große Angst"

10.09.2024

Gänsehautfaktor

"Die große Angst." So heißt eine Dokumentation des MDR über die gesellschaftliche Lage in Ostdeutschland, die das Erste am Montagabend gesendet hat: exzellenter Journalismus mit Gänsehautfaktor.

Mehr