Der Fall föderl-Schmid
Tweets mit Abgründen
Seit wann ist das eigentlich so aus dem Ruder gelaufen? Welche Synapsen sind komplett fehlgeleitet in manchen Köpfen, wenn über eine Journalistin selbst dann noch übelst im Netz hergezogen wird, wenn noch nicht klar ist, ob sie sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat?
Ja, es geht um das Schicksal von Alexandra Föderl-Schmid. Aber es geht noch um viel mehr. Als wäre dieser tragische Fall noch nicht genug.
Fair enough, wenn Plagiatsvorwürfe im Raum stehen, müssen die geprüft werden, und wenn etwas Wahres dran ist, muss die Person für ihre Fehler einstehen.
Doch dass Julian Reichelt den selbst ernannten und durchaus fragwürdigen Plagiatsjäger Stefan Weber gegen Geld auf Föderl-Schmid gehetzt hat, nachdem "Medieninsider" im Dezember den Verdacht veröffentlicht hatte, dass Föderl-Schmid in ihren Artikeln Teile anderer Veröffentlichungen genutzt haben soll, lässt tief blicken.
Auch wenn das Fehlverhalten bis jetzt noch nicht bewiesen ist, laufen einige Menschen und rechtsgerichtete Medien wie "Nius" heiß und versuchen, die Betroffene mit Posts und Hasstiraden zum Schweigen zu bringen.
Bei so viel Hass geht ein Tweet der Publizistin und Historikerin Barbara Töth fast unter, in dem sie schreibt, dass sie sich 292 Seiten der Dissertation angeschaut habe und zu dem Fazit komme: "Kurzum: eine umfangreiche, eigenständige und verdienstvolle Arbeit - mit einigen wenigen (2) kaum relevanten Ungenauigkeiten, die man anno 1996 wohl nicht gefunden hätte ohne die heutigen Textanalysesysteme.“ Föderl-Schmid selbst hatte die Uni Salzburg gebeten, ihre Dissertation zu untersuchen. Zudem ist ein unabhängiges Gremium noch damit beschäftigt, die Vorwürfe, die sich auf ihre journalistische Arbeit beziehen, zu prüfen.
Fakt ist, selbst wenn es Fehler oder Ungenauigkeiten in der Arbeit Föderl-Schmids und/oder in ihren Artikeln gab, so können diese niemals die losgetretene Hetzkampagne rechtfertigen. Die Drohungen, Anfeindungen, Niedermachungen. Und noch etwas ist klar, Föderl-Schmid bot die perfekte Zielscheibe für einen Angriff von rechts. Schnell als "linke Journalistin" betitelt, brauchte die Hass-Armee nicht lange, um aus den Löchern zu kriechen und zuzuschlagen.
Selbst als die Polizei meldete, es sei ein Abschiedsbrief gefunden worden und eine Frau im Wasser gesehen worden, nahmen die Beschimpfungen nicht ab. Unter den Tweets zeigten sich menschliche Abgründe.
In dem Moment, als klar war, dass sie lebt, folgten direkt neue Vorwürfe, sie habe das alles nur vorgetäuscht. Ganz ehrlich: Was zur Hölle?
Was als schleichender Prozess begann und lange als Tabu abgetan wurde, steht jetzt unweigerlich als riesiger Elefant im Raum bzw. in den Redaktionen. Journalismus ist ein Beruf, in dem Hass, Drohungen und Beschimpfungen heute oft fast schon zum Tagesgeschäft gehören. Und das macht etwas mit den Menschen. Mit deren psychischer Gesundheit. Mit deren Wohlbefinden. Und darüber müssen wir reden. Denn das darf niemals zur Normalität werden.
Erst jetzt, so scheint es, begreifen Medienhäuser allmählich, wie wichtig auch der mentale Schutz ihrer Mitarbeitenden ist. Traurigerweise rückt dies mancherorts erst durch Fälle wie den von Alexandra Föderl-Schmid wirklich ins Bewusstsein.
Projekte wie die Helpline von Netzwerk Recherche, vermehrte Angebote zu mentaler und physischer Safety, Gespräche mit Psychologen sind ein Anfang. Doch es muss mehr geschehen.
Möge die traurige Geschichte von Alexandra Föderl-Schmid ein Weckruf sein für alle, die bis jetzt dachten, im Journalismus gehöre ein dickes Fell dazu. Sorry, aber wir sprechen hier inzwischen eher von einer Elefantenhaut. Und die beginnt, selbst bei hartgesottensten Kolleg*innen zu reißen. Solche Kampagnen schleudern irgendwann jeden und jede aus der Bahn. Und das ist nicht unnormal, sondern menschlich.
Ich kann Alexandra Föderl-Schmid nur wünschen, dass sie Hilfe bekommt, es ihr bald wieder besser geht und sie irgendwann wieder Texte schreibt, die etwas bewegen. Denn wir brauchen guten Journalismus, um die Demokratie zu erhalten und uns gegen genau diesen Hass, diese Empörungs- und Bedrohungskultur gegen Medienschaffende zu wehren. Wenn wir das nicht tun, wird es noch schlimmer werden. Denn die Kampagne gegen Föderl-Schmid ist kein Einzelfall. Zur Kampagne wird gerade auch gegen die Kolleg*innen von Correctiv aufgerufen. Ihnen wird mit Klagen gedroht, sie werden mit Lügenvorwürfen überschüttet. Weil sie etwas aufgedeckt haben, was jetzt dafür sorgt, dass hunderttausende Menschen für die Demokratie auf die Straße gehen.
Und wenn genau dieser Journalismus irgendwann fehlt, dann wird die Welt eine andere sein.