Offener Journalismus
Transparenz oder Konkurrenz?
Immer öfter darf die Netzcommunity Einfluss darauf nehmen, wohin die journalistische Reise geht oder wird dazu aufgerufen, mit zu recherchieren: So auch bei dem Webdoku-Projekt str_ry. Der Reporter Daniel Bröckerhoff und die Macher der Jugend-Politsendung Klub Konkret setzen für ihr neues Format komplett auf offenen Journalismus. Bröckerhoff räumt ein, dass gerade das öffentlich-rechtliche System sich zwar viele Sendungen leiste, die informieren, aufklären, hinterfragen. Trotzdem müsse das Fernsehen neu gedacht werden: "Der Fernsehjournalismus ist gefühlt in den neunziger Jahren stecken geblieben. Er ist oft staubtrocken, eindimensional, wenig interaktiv, die Möglichkeiten des Internets werden von den wenigsten Redaktionen genutzt." Innerhalb von einem halben Jahr will das Team eine Video-Reportagereihe in sechs Folgen auf die Beine stellen. Im Vorfeld konnten die Unterstützer unter vier Themen auswählen, die über einen Videoteaser vorgestellt wurden. Das Rennen machte schließlich das Thema Datenschutz. Die Redaktionsarbeit will str_ry transparent abbilden: Von Making-of-Videos über den Projekt-Blog, bis hin zu Twitter-Updates, Feedback und Diskussionen auf Facebook. Über den gesamten Zeitraum der Dokumentation soll das Netzpublikum so mitdiskutieren und entscheiden können, wohin Bröckerhoffs Rechercheweg führt. „Die Unterstützer von st_ry belegen durch ihr Engagement, dass klassisches Fernsehen nicht mehr ausreicht für unsere vernetzte Medienwelt“, heißt es in der Projektbeschreibung. Die Finanzierung soll über die Crowdfunding-Plattform Startnext laufen.
Bislang war offener Journalismus vor allem im Bereich Crowdsourcing und Datenjournalismus angesiedelt. So schreibt SZ.de-Chefredakteur Stefan Plöchinger im Hintergrundbericht zum Verspätungs-Atlas Zugmonitor: „Offener Journalismus bedeutet für uns, dass wir freie Plattformen im Netz zur Aufbereitung der Daten benutzen.“ Durch Schnittstellen und Hinweise von Bahnreisenden via E-Mail und Twitter werden in einer Live-Karte riesige Datenmengen über die Pünktlichkeit der Bahn gesammelt, die von Nutzern wiederum ausgewertet und weiterverwendet werden können.
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist das Projekt #ZDFcheck: Mit Hilfe der Onliner will heute.de unter die Lupe nehmen, was Politiker im Wahlkampf 2013 in Interviews, Talkshows, Tweets und Reden behaupten. Dabei arbeitet das ZDF mit Wikimedia Deutschland zusammen. Einige Wikipedianer monierten postwendend, man werde als billige Arbeitskraft missbraucht und in die redaktionelle Arbeit nicht ausreichend einbezogen. Kann die journalistische Unabhängigkeit gesichert werden, wenn Rezipienten Einfluss auf die redaktionelle Arbeit nehmen? Und müssen Hauptberufliche jetzt zunehmend mit „Laienjournalisten“ konkurrieren? Dass das Konzept des offenen Journalismus auch Kritiker auf den Plan rufen kann, ist angesichts der ohnehin angespannten Arbeitsmarktsituation nicht abwegig. Anna-Maria Wagner