Journalismus
Sind Sommerinterviews zu zahm?
Gestern stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz dem ARD-Sommerinterview. Seitdem gibt es mehr Kritik als Lob: am Kanzler, an der Interviewerin, am Format. Sind die Sommerinterviews zu zahm?
Seit mehr als 30 Jahren schon sprechen die Öffentlich-Rechtlichen im Sommer mit Spitzenpolitikern. Anfangs standen die Urlaubsdomizile der Kanzler hoch im Kurs, seit einigen Jahren platziert die ARD ihre Gesprächspartner gern nahe am ARD-Hauptstadtstudio in Berlin. Oft sieht man im Hintergrund die Ausflugsschiffe über die Spree tuckern. So gemütlich und entspannt der Hintergrund, so unaufgeregt verlaufen meist auch die Gespräche. Denn beim Sommerinterview geht es gerade nicht darum, den Promi zu grillen.
So auch nicht gestern, als die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios Tina Hassel Bundeskanzler Olaf Scholz zu Gast hatte. Dessen wichtigste Aussage hatte die ARD-Tagesschau schon vorab veröffentlicht: Der Anstieg der Energiekosten berge sozialen Sprengstoff. Darüber hinaus betonte er die Erfolge der Regierungspolitik - wie das Spitzenpolitiker in einem solchen Format gerne tun. Und dann ging es noch um den Preis von Erdbeeren, den Scholz nicht genau wusste.
So weit, so gut. ARD-Frau Hassel bemühte sich, aus dem kühlen Hanseaten Scholz die persönliche Seite hervorzulocken. Allzu kritische Fragen gab es nicht, wie meist nicht bei den Sommerinterviews. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Auf Twitter wurde beispielsweise heftig kritisiert, dass die Klimakrise nicht Gegenstand des Interviews gewesen sei. Und überhaupt: zu lahm, zu zahm.
Wie würden eigentlich die Sommerinterviews ablaufen, wenn ORF-Moderator Armin Wolf sie führen würde? Das ist der Journalist, der vor Jahren mit seinen kritischen Fragen an den Generalsekretär der FPÖ eine innenpolitische Krise in der Alpenrepublik auslöste. Wahrscheinlich wäre die Vorbereitung aufwendiger, denn aktuell haben dem ORF-Mann drei Politiker Interviews verweigert. Und in Berlin dürfte die Bereitschaft, sich am Sonntagabend grillen zu lassen, auch nicht allzu groß sein. Aber einen Versuch wäre es wert, oder? Dann könnte das Sommerinterview die ideale Einstimmung auf den ARD-Tatort sein.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner