Schleusen geöffnet
Twitters Chefin für Nutzersicherheit hat nur wenige Monate nach Antritt des Jobs das Handtuch geworfen. Elon Musks Politik der äußersten Meinungsfreiheit lässt den Kurznachrichtendienst zum Troll-Eldorado verkommen.
Eine eigene Handschrift ließ Ella Irwin nicht erkennen. In dem halben Jahr, das sie als Verantwortliche für Nutzersicherheit bei Twitter arbeitete, nahm die Zahl der Shitstorms, der Trolle und der Fake News permanent zu. Das sowie die erratischen Schübe des Eigentümers Elon Musk dürfte der Grund dafür sein, dass sie in der vergangenen Woche entnervt das Handtuch geworfen hat. So wie ihr Vorgänger Yoel Roth auch schon.
Es sind nicht kontroverse Diskussionen, die vielleicht dem einen oder anderen gegen den Strich gehen, sondern es ist die Flut von Häme, Beleidigungen und übelsten Beschimpfungen, die losbricht, sobald ein Reizthema diskutiert wird. Und es betrifft jeden. Twitter ist inzwischen zur Kloake verkommen, zum Sammelbecken schlimmsten verbalen Mülls. Wer Beleidigungen schlimmsten sexistschen Ausmaßes meldet, erhält die Antwort, dass kein Verstoß gegen die Community-Regeln zu erkennen sei. So viel zur Erfolgsbilanz von Ella Irwin.
Deshalb kann es nicht verwundern, dass das Verhalten von Twitter inzwischen die EU-Kommission beschäftigt. Deren Industriekommissar Thierry Breton sagte jetzt zu Elon Musks Ausstieg aus dem freiwilligen EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Falschinformationen: "Sie können weglaufen, aber Sie können sich nicht verstecken." So selbstbewusst tritt Breton auf, weil im August der Digital Services Act der EU in Kraft tritt. Dann hat der Kampf gegen Desinformation Gesetzesrang.
Wenn Twitter bis dahin nicht den Trollen den Zugang sperrt, könnte das Unternehmen erhebliche juristische Probleme bekommen - bis hin zur Abschaltung. Wäre das ein Verlust?
Ein Kommentar von Hendrik Zörner