Verwertungsgesellschaften
Rückforderungen sorgen für Schock bei Bildagenturen
Konsequenzen aus Europa-Urteil
Fotografen einer kleinen Fotoagentur konnten es letzte Woche nicht fassen: Ein Schreiben der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst mit brisantem Inhalt. Um rund 5.000 Euro geht es. Nicht wie sonst ging es um eine Ausschüttung, mit der demnächst gerechnet werden darf, sondern Anlass war eine mögliche Rückforderung der Verwertungsgesellschaft.
Bei der Rückforderung geht es nicht um Ausschüttungen, die den Fotografen als Urheber gezahlt wurden. Sie hatten ihre Bildagentur auch seit Jahren als Agentur bei der Verwertungsgesellschaft gemeldet und wurden damit genau wie Verlage mit Ausschüttungen für Bilder von anderen Fotografen bedacht, an denen sie die Rechte hatten.
Ganz überraschend kommt das Schreiben freilich nicht. Die Verwertungsgesellschaften hatten die Ausschüttungsempfänger bei jeder Ausschüttung seit dem Jahr 2012 auf die Möglichkeit einer Rückforderung hingewiesen. Doch einige der Empfänger haben dieses Szenario bislang nicht wirklich ernst genommen, um so stärker jetzt die Schockwirkung.
Hintergrund des Schreibens ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) und ein noch laufendes Verfahren vor dem Bundesgerichtshof. Der EUGH hatte hinsichtlich der Erhebung von Abgaben durch eine Verwertungsgesellschaft in Belgien entschieden: Abgaben dürfen nur für Ansprüche von Urhebern erhoben werden, nicht aber für Ansprüche von Verlagen. Gleichzeitig klagt ein deutscher Urheber seit Jahren, mittlerweile vor dem Bundesgerichtshof angekommen, gegen die Beteiligung von Verlagen an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft (im konkreten Fall: die VG WORT). Was die Verwertungsgesellschaften befürchten: Auch ihre Praxis könnte vom obersten deutschen Zivilgericht in Frage gestellt werden, mit Hinweis auf das Urteil des EUGH.
Zwar vertreten die Verwertungsgesellschaften derzeit noch die Auffassung, dass die Entscheidung des EUGH nicht direkt auf sie übertragen werden kann. In Belgien sei die Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften gesetzlich geregelt, während sie in Deutschland auf den Verteilungsplänen der Verwertungsgesellschaften beruhten. Da die Verteilungspläne mit Beteiligung der Vertreter der Urheber zustande kommen, könnte argumentiert werden, dass es den Urhebern bzw. ihren Vertretern frei stehen müsse, Erträge an andere zu verteilen.
Doch ob der BGH dieser Argumentation folgt, kann derzeit nicht eingeschätzt werden. Er könnte beispielsweise die Auffassung vertreten, dass die Verteilungspläne unter der falschen Prämisse zustande gekommen seien, dass es überhaupt einen Anspruch von Verlagen gäbe. Auch der Umstand, dass über diese Verteilung auch die Vertreter der Verleger selbst mit entschieden haben, könnte die Wirksamkeit dieser Verteilungsentscheidung selbst in Frage stellen. Kurz: Es ist gar nicht auszuschließen, dass der BGH nun auch gegen das deutsche Abgaben- und Verteilungssystem entscheidet.
Wird das System für (teilweise) unwirksam erklärt, müssten Verwertungsgesellschaften die Ausschüttungen zurückfordern. Das freilich geht nur im Rahmen der Verjährungsfristen für Forderungen, also innerhalb von drei Jahren nach der Ausschüttung. Die Verjährung kann nur durch Klage oder durch Vereinbarung mit den Schuldnern verhindert werden. Damit die Verwertungsgesellschaften die Ansprüche für das Jahr 2012 nicht verlieren, müssen sie also mindestens eine Erklärung des Schuldners haben, dass auf die Wirkung der Verjährung verzichtet wird. Diese Verzichtserklärung liegt jetzt Bildagenturen und Verlagen vor. Wer die Verzichtserklärung nicht unterzeichnet, muss mit einer Klage der Verwertungsgesellschaft rechnen, weil sie sonst die Ansprüche auf Rückzahlung verlieren würde. Würde die Verwertungsgesellschaft solche Ansprüche nicht geltend machen, müsste sie bzw. ihre Verantwortlichen mit Haftungsklagen und/oder Maßnahmen der Aufsichtsbehörden rechnen.
Bildjournalisten, die Agenturen nur zugearbeitet haben, sind von solchen Rückforderungen allerdings nicht betroffen, da die Ausschüttung von Tantiemen an Urheber bislang nicht in Frage gestellt wurde.
Der DJV kann seinen Mitgliedern, wenn sie Bildagenturen oder (Klein-)Verlage betreiben, nur empfehlen, die Verzichtserklärung zu unterzeichnen. Vielleicht stellt der BGH das ganze System am Ende doch nicht in Frage, dann wäre der Vorgang abzuhaken. Betroffene sollten freilich dennoch nicht ganz unvorbereitet sein und die Rückforderung in ihren Bilanzen oder in der Finanzplanung als Rückstellungen einplanen.
Michael Hirschler, hir@djv.de