Soziale Medien
Raus aus der Blase
Social Media und Suchmaschinen stehen im Verdacht, ihre Nutzer in „Filterblasen“ gefangen zu halten. Ein Forscherteam sagt jetzt, das stimmt so nicht.
Die Sozialen Medien und Suchmaschinen sollen den Nachrichtenkonsum und die Vielfalt der konsumierten Informationen sogar eher begünstigen.
Social Media hat unzweifelhaft den Nachrichtenkonsum nachhaltig verändert. Beim Lesen von Nachrichten und Meldungen passen Algorithmen die Auswahl der Inhalte an die bisherigen Vorlieben und Gewohnheiten des jeweiligen Users an. Das nährt den Verdacht, dass so die Informations- und Meinungsvielfalt verringert wird, weil die Leser nicht mehr mit anderen, konträren Meinungen in Berührung kommen. Sie werden nur mit Nachrichten versorgt, die ihrer Weltsicht sowieso schon entsprechen – wodurch sie sich in Filterblasen und Echokammern der immer gleichen Informationen und Meinungen bewegen, was ihre Weltsicht nie infrage stellt, sondern nur immer mehr festigt. Denn es entsteht der Eindruck, alle anderen dächten ja ähnlich wie man selbst.
Durch die Analyse von jeweils mehr als 2000 repräsentativ ausgewählten Internetnutzern der Jahre 2012 und 2018 konnten die Wissenschaftler der Universität Mainz, der Universität Hohenheim und des GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Köln zeigen, dass aber im Gegenteil die Nutzung von Facebook, Twitter, Google & Co. im Allgemeinen mit mehr Besuchen von Nachrichtenseiten und einer größeren Vielfalt besuchter Nachrichtenseiten in Zusammenhang steht.
Sie gehen sogar noch weiter: Konsumenten von klassischen Zeitungen oder Fernsehnachrichten bekämen eigentlich ein sehr enges Nachrichtenangebot. Denn dort wird gezielt ausgesucht. Menschen, die Suchmaschinen und verschiedene soziale Medien nutzen, erhielten hingegen relativ vielfältige News. „Egal ob ein Nutzer normalerweise viel oder wenig Online-Nachrichten konsumiert: An Tagen, an denen jemand mehr auf Facebook, Twitter oder Google unterwegs ist als sonst, bekommt er auch mehr Nachrichten und Nachrichten aus mehr Quellen zu sehen als sonst“, so Dr. Sebastian Stier vom GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.
Sind – was die Nachrichtenvielfalt angeht – die Sozialen Medien also doch besser als ihr Ruf? Gibt es gar keine Filterblasen und Echokammern im Internet? Das sagen die Forscher so nicht. Denn zum einen ist es nur eine Untersuchung in einem Land zu zwei Zeitpunkten. Außerdem kann es möglich sein, dass Menschen mit bestimmten oder radikaleren Einstellungen auch selektiver in ihrer Mediennutzung sind.
Trotzdem stellt die Studie das Bild der Social Media-Konzerne und Online-Medien als Verantwortliche für eine angebliche Informationsarmut im Internet deutlich infrage. „Bisherige Debatten haben sich in vielerlei Hinsicht um die Befürchtung gedreht, dass Online-Medien zur Entstehung neuer Mauern in der Gesellschaft führen“, so Prof. Dr. Michael Scharkow vom Institut für Publizistik der Universität Mainz. „Unsere Ergebnisse zeigen demgegenüber, dass soziale Medien und Suchmaschinen durchaus das Potenzial haben, bestehende Mauern zu überwinden.“
Ein Kommentar von Paul Eschenhagen