Konstruktiver Journalismus
Modewort für Kehrtwende
Focus online schickt 14 Reporter auf die Reise in 14 Länder, um zu schildern, was andernorts besser läuft als in Deutschland. Die Recherchen werden unter die Wohlfühl-Überschrift "Konstruktive Reportage-Serie" gestellt.
"Morde, schlechte Bildung oder wirtschaftliche Probleme. Verfolgt man regelmäßig die Nachrichten, bekommt man schnell den Eindruck, dass auf der Welt alles schlecht ist. Doch die Lebenswirklichkeit sieht häufig ganz anders aus." Mit diesen Sätzen begründet Focus Online, warum die "konstruktive Reportage-Serie" kommen soll. Das Portal steht mit dem Hang zu positiven Nachrichten nicht allein da. "Konstruktiver Journalismus" als neue Richtung wird in der Branche viel diskutiert und noch wenig praktiziert. Aber nach der Ankündigung von Focus Online dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis andere Portale, Magazine und Zeitungen nachziehen.Der von Focus genannte Problemkanon der Medienberichte ist nicht zu leugnen. Und dass manche Leser von der Flut der schlechten Nachrichten die Nase voll haben, kann nicht verwundern. Was folgt daraus für die Journalisten? Nur noch Kuschelnews bringen? Lieber ein Katzenvideo zeigen statt zum hundertsten Mal Hans-Georg Maaßen mit seiner unvergesslichen Brille?So kompliziert ist die Lösung gar nicht. Denn das, was Focus Online jetzt als journalistische Sensation anpreist, gehörte noch vor wenigen Jahrzehnten zu gut recherchierten Geschichten mit dazu: "Rund" war eine Geschichte erst dann, wenn auch Alternativen und Lösungsmodelle aufgezeigt wurden. Dass das heute bei vielen Veröffentlichungen nicht mehr so ist, liegt an den Sparorgien in den Redaktionen. Für Berichte mit Hintergrund und mit dem Blick über den Tellerrand fehlt vielerorts das Geld.Vielleicht gelingt es Focus auf diese Weise unfreiwillig, einen Weckruf an die Verleger zu starten. Das wäre nicht der schlechteste Nebeneffekt.Ein Kommentar von Hendrik Zörner