Europa
Mit Unternehmerjournalismus gegen Krisenstimmung
Service, Service, Service - aber auch mal an das eigene Engagement denken. Journalistenverbände debattierten in Wien.
In der gegenwärtigen europaweiten Krise der Medien müssen Journalisten mehr auf sich selbst setzen und zu Unternehmern werden. Der unternehmende Journalismus, auf Englisch sowie auch Denglisch "Entrepreneurial Journalism" genannt, eröffnet Journalisten neue Perspektiven in einer ansonsten von Depression und Sparmaßnahmen geprägten Medienlandschaft. Doch der unternehmende Journalismus verlangt von Journalisten auch neue Denkweisen.
Über diese und andere Thesen zur Finanzierung des Journalismus diskutierten in Wien am 20./21. März 2014 über 50 Delegierte aus ganz Europa. Organisiert wurde die Konferenz von der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), in der die europäischen Journalistengewerkschaften und -verbände organisiert sind.
Neue Rolle als Unternehmer
Wer sein eigenes Geschäftsmodell in den Medien aufzieht, muss sein Publikum sehr genau kennen lernen, machte Jane B. Singer (@janebsinger) von der City-University London deutlich. Anders als angestellte Journalisten müssen Unternehmerjournalisten ihre Zielgruppe stets im Blick haben, den Nutzwert von Informationen abschätzen und dabei die Erlössituation des eigenen Geschäfts im Blick behalten. Die Anforderungen an diese Selbständigen sind insgesamt recht anspruchsvoll, machte Singer deutlich.
Datenbank für Geschäftsmodelle
Aus der Tretmühle einer ohnehin kollabierenden Angestelltenrealität in die Selbständigkeit hat sich der britische Journalist Tim Dawson (@newmodeljourno) bewegt. Er hat dabei inzwischen über 100 Geschäftsmodelle im Journalismus in einer Datenbank zusammengestellt, die unter www.newmodeljournalism.com abgerufen werden können. Wesentlich für den Erfolg einer Gründung ist nach seiner Auffassung dabei, dass man eine bestimmte Nische besetzt und damit eine eigene Zielgruppe erreicht.
Nicht auf Google & Co. warten
In wenigen Jahren in der Medienwirtschaft auf einen Umsatz von 400.000 Euro im Jahr zu kommen, ist sehr wohl möglich, unterstrich Gianluca Schinaia vom italienischen Medien-Startup FpS Media. Rund zehn feste Mitarbeiter und noch zahlreiche Zuarbeiter werden von seiner Firma beschäftigt, deren Angebotspalette zahlreiche Features von der Produktion von Websites über Filme bis hin zu Vortragstätigkeiten in Bildungseinrichtungen bietet. Journalisten sollten heute keinesfalls einfach nur auf Aufträge von Medien warten, sondern eigene Angebote entwickeln. Völlig unverständlich findet er dabei, wenn Journalisten im heutigen Medienwandel passiv zuschauen. Wie könne es sein, dass Personen wie Larry Page den Journalismus neu erfinden könnten, fragt Schinaia. Er bietet interessierten Journalisten und Medienmachern aus ganz Europa an, zusammen mit seiner Firma Medienangebote zu erarbeiten, die einen speziellen journalistischen Fokus haben. Dabei denkt er beispielsweise an die Entwicklung journalismusspezifischer Apps.
Gewerkschaften weiten Service aus
Die Gewerkschaften müssen sich den Herausforderungen für ihre Mitglieder stellen, konstatierte Martine Simonis von der belgischen Journalistengewerkschaft AJP. Ihre Organisation plant derzeit den Launch eines neuen Service-Angebots, das von der Vermarktung journalistischer Inhalte über Beratungsdienstleistungen bis hin zum Coaching reichen soll.
Innovation kommt von Außen
Neugründungen mit innovativen Geschäftsmodellen sind vor allem in der digitalen Medienwirtschaft zu finden, konstatierte Luis Palacio Llanos, Redakteur des spanischen Pressejahrbuchs. Dabei handele es sich bei den Akteuren meistens um Personen, die nicht in der bisherigen Medienwirtschaft investiert hatten.
Weiterbildung setzt auf Digitales
Weiterbildungseinrichtungen wie die von der niederländischen Journalistengewerkschaft betriebene NVJ Akademie setzen stark auf die Entwicklung digitaler Medienkompetenz, unterstrich deren Managerin Yvonne Dankfort.
Verleger fordern Leistungsschutzrecht
Die Entwicklung erfolgreicher digitaler Geschäftsmodelle sei schwierig, weil große Firmen wie Google, Facebook oder Twitter das Nachrichtengeschäft an sich gerissen hätten, weil sie als Aggregatoren fungieren, ohne für die Nutzung der Nachrichten zahlen zu müssen, kritisierte Gerald Grünberger vom österreichischen Zeitungsverlegerverband. Einer Firma wie Google sei kaum zu begegnen, so beschäftige sie allein in Brüssel rund 45 Lobbyisten. Insgesamt sei zu kritisieren, dass amerikanische Firmen glaubten, das in Europa geltende Recht einfach ignorieren zu können. Ein Leistungsschutzrecht für Verlage sei daher auch in Österreich erforderlich.
Investitionen erforderlich
Positionen, die bei zwei Teilnehmern auf Kritik stießen. Es sei fragwürdig, wenn Verleger als erstes mit dem Finger auf amerikanische Firmen zeigten. Die Verleger würden selbst seit langer Zeit nicht ernsthaft in digitale Medien investieren, sondern überließen das Geschäft US-Firmen. Daher könnten sie sich auch nicht ernsthaft beschweren. Die Forderung nach Verboten bzw. Erhebung von Abgaben gegenüber US-Angeboten sei wenig überzeugend, wenn selbst keine eigenen Investitionen erfolgten. Im Angesicht der Medienkrise und von Stagnation sei massiver finanzieller Einsatz erforderlich.
Geld von Google kann nicht schaden
Martin Simonis von der belgischen Journalistengewerkschaft meinte demgegenüber, dass Aktionen gegenüber Google absolut Sinn machten. Ihr Verband sei zusammen mit den Verlegern gegen die Online-Nutzung von Inhalten durch Google vorgegangen. Sie seien vor den Gerichten erfolgreich gewesen und es sei zu Zahlungen von Google an Journalisten und Verleger gekommen. Auch wenn es nicht viel Geld gewesen sei, so sei dies doch besser als gar nichts.
Europäische Freien-Angebote
Auf der Tagung in Wien tauschten sich die Vertreter der Journalistenverbände auch über erfolgreiche Aktionen und Angebote für freie Journalisten aus. Viele Vertreter berichteten über die Ausweitung von Serviceangeboten, die bei der Vermarktung oder Ausbildung helfen. Dazu gehört mitunter auch ein extra Honorarkalkulator, der online zu finden ist. Darüber hinaus wurde aber auch verhaltene Kritik an einer "Service-Mentalität" in den Organisationen geäußert. Es werde zunehmend erwartet, dass die Journalistenverbände zu "liefern" hätten. Eigenes Engagement in den Betrieben oder auch im verband dagegen sei keinesfalls Selbstverständlichkeit.
Unternehmertum allein keine Lösung
Unternehmertum allein hilft auch nicht: Einige Teilnehmer äußerten Kritik an der sozialen Lage der Freien. So sehr man unternehmerisches Denken propagieren müsse, so wenig könne es als Allheilmittel gegen die desaströse Honorarpolitik von Verlagen und mangelnde Zahlungsbereitschaft des Publikums helfen. Nach wie vor müssten die Journalistenverbände für angemessene soziale Rahmenbedingungen der freien Tätigkeit streiten, hier seien gesetzgeberische Maßnahmen erforderlich.
Freie Journalisten sind keine Journalisten - in Weißrussland
Ganz am Anfang stehen die Freien dagegen noch in Weißrussland. Hier sind freie Journalisten von der Regierung nicht einmal als Journalisten anerkannt, weil nur Angestellte dazu zählen. Der Vertreter des weißrussischen Journalistenverbandes hofft hier auf Unterstützung der übrigen europäischen Verbände. Ein kleiner Lichtblick: Erstmals wurde ein Vertreter des Verbandes zu einer Fernseh-Talkshow eingeladen, in der es um Selbständige gehen sollte. Bisher ist allerdings noch nicht bekannt, ob die Talkshow auch ausgestrahlt wurde.
Debatte geht weiter
Von ausgefeilten Geschäftsmodellen bis hin zum gesellschaftlichen Akzeptanzproblem, die Tagung in Wien zeigte, wie vielfältig die Beschäftigungssituation der Freien in Europa ist. Die verschiedenen Diskussionsfäden sollen jetzt vom Freien-Arbeitskreis (Freelance Rights Expert Group) der Europäischen Journalisten-Föderation fortgesponnen werden. Dazu soll auch ein Webinar mit Tim Dawson von Newmodeljournalism.com zählen, das derzeit für den 10. Juni geplant ist.
Michael Hirschler, hir@djv.de (@freie)