Krokodilstränen um die Meinungsfreiheit
Die Bundeskanzlerin sieht die Meinungsfreiheit bedroht, weil Twitter den Account von Donald Trump gesperrt hat. Kann man so sehen. Doch was tut die Bundesregierung gegen den Hass im Netz?
Regierungssprecher Steffen Seibert fand staatstragende Worte: "Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht von elementarer Bedeutung“, sagte er am 11. Januar in der Bundespressekonferenz. "In dieses Grundrecht kann eingegriffen werden, aber entlang der Gesetze und innerhalb des Rahmens, den der Gesetzgeber definiert – nicht nach dem Beschluss der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen." Recht hat er. Die Grenzen der Meinungsfreiheit zu definieren ist in der Tat nicht Aufgabe von Twitter oder Facebook.
Dass die sozialen Netzwerke das trotzdem tun, und zwar schon lange, hat bisher nur die Betroffenen aufgeregt, nicht aber die Spitzen der Politik. Was bitteschön sind die "Twitter-Regeln" anderes als eine Art Hausordnung, die nach eigenem Gutdünken festlegt, welche Äußerungen okay sind und welche nicht? Und auch die tagtägliche Durchforstung von Facebook-Postings und Videos auf öffentlich zugänglichen Plattformen greift in die Meinungsfreiheit ein. Das ist weitgehend gesellschaftlich akzeptiert, weil auf diese Weise strafbare Inhalte aus dem Netz gefischt werden. Manchmal werden da auch Ermittlungsbehörden aktiv, aber das Gros der Arbeit leisten die Tech-Konzerne und ihre unterbezahlten Helfer, bevor ein Staatsanwalt davon überhaupt etwas erfährt.
Schmälert das die Kritik des Regierungssprechers an Twitter? Nein. Aber es zeigt, dass der Staat jahrzehntelang die digitale Entwicklung verschlafen hat. Statt Krokodilstränen für Donald Trump zu vergießen, sollte sich die Bundesregierung eine geeignete Strategie überlegen, den Hass im Netz zu bekämpfen. Die Zeit dafür ist überreif.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner