Hasspostings
Journalismus als Gegengift
Häme, Hass und Hetze finden eine Heimat in den sozialen Netzwerken. Vergiftete Worte heute zahlen aber ein auf die Taten von morgen. Gut, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Druck auf den Messenger-Dienst Telegram erhöht, geltendes Recht einzuhalten.
Morddrohungen gegen Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und auch Journalist:innen sind auf Telegram an der Tagesordnung. Hassredner fühlen sich dort sicher vor staatlicher Verfolgung. Was sich manch einer in der Offline-Welt nicht trauen würde zu sagen, wird ohne Furcht vor Konsequenzen geäußert. Es entstehen dort Gärkammern, in denen sich schrille Minderheiten zusehends radikalisieren. Verschwörungsgläubige, Querdenker:innen, politische Extremist:innen - sie bestätigen sich dort selbst. Ja, sie glauben bisweilen sogar, die eigentliche Mehrheit zu sein. Bizarr. Gut, dass die Bundesregierung den Anspruch erhebt, dass auch Messenger-Dienste mit Sitz im Ausland keine rechtsfreien Räume bieten dürfen.
Einfach ist das alles freilich nicht: Zuletzt hohe Wellen schlug die Entscheidung der Videoplattform YouTube, die den Kanal "Achse des Guten" zeitweise sperrte, dessen Geschäftsmodell "auf Hetze und Falschbehauptungen beruht", wie die jetzige Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden rechtmäßig sagen darf. Mittlerweile sind Henryk M. Broder und Co dort wieder zu sehen. Dieses Hüh und Hott zeigt, wie unausgegoren das Vorgehen der Plattformen noch ist. Die Faktenchecker von Correctiv haben mit 80 anderen Organisationen einen Brief an die YouTube-Chefin geschrieben: "Wir sehen nicht, dass YouTube größere Anstrengungen unternimmt, um das Problem zu lösen. Im Gegenteil: YouTube lässt zu, dass seine Plattform von skrupellosen Akteuren als Waffe eingesetzt wird, um andere zu manipulieren und auszubeuten, sich selbst zu organisieren und Gelder zu sammeln."
Grundsätzlich darf es nicht sein, dass Firmen aus dem Silicon Valley Geld damit verdienen, dass sie in Deutschland Hass, Hetze und Desinformation einen sicheren Hafen bieten. Es braucht nachvollziehbare, transparente und gesetzeskonforme Wege, ohne dabei willkürlich die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit zu behindern. Demokratie lebt von Meinungspluralismus. Hass aber ist keine Meinung, Desinformation das Gegenteil von Journalismus. Journalismus orientiert sich im Zweifel am Pressekodex, das Prinzip der Wahrhaftigkeit steht dabei ganz oben.
Wenn Hass aus dem Netz überschwappt und die Arbeit, Gesundheit und gar das Leben von Journalist:innen in Deutschland konkret gefährdet, muss sich der Berufsverband und die Gewerkschaft der Journalist:innen in Deutschland, der DJV, dafür stark machen, dass es mehr Schutz gibt. Mit seinem nun in Berlin vorgestellten Flyer etwa gibt es nützliches Werkzeug für die Praxis, wenn Querdenker und Co meinen, die grundgesetzlich geschützte Arbeit der Presse im Zweifel durch Gewalt zu behindern, weil man sich in eine Phantasiewelt verirrt hat, in der überall nur Gegner lauern bis auf die Heilsbringer in den eigenen Reihen.
Journalismus ist aber nicht nur durch Hass der Extremen auf der Straße und im Netz bedroht, er ist auf der anderen Seite ein Teil der Lösung. Nachrichten einordnen, Desinformation erkennen und entlarven, den Nutzer:innen einen Weg durch den Nachrichtendschungel weisen - es gibt einen Grund, warum manche sauer auf die gute Arbeit der Kolleg:innen in ganz Deutschland sind. Denn ihr Geschäftsmodell wird durch Journalismus gefährdet: Wo Verschwörungsunternehmer das Verhalten Leichtgläubiger mit intellektuellen Taschenspielertricks und Milchmädchenrechnungen monetarisieren wollen, wirkt Journalismus als Gegengift.
Deshalb ist der Schutz von Journalist:innen ein wichtiges Anliegen für die gesamte Gesellschaft: Der Kampf gegen Desinformation ist entscheidend für das Gelingen von Demokratie. Gut, dass die Bundesregierung sich dieser Aufgabe stellen will. Aber bitte rasch: Das Gift des Hasses wirkt schnell.
Ein Kommentar von Mika Beuster