Aktivismus & Journalismus
Wer darf werben?
Sonderausgabe "taz die klimazeitung", Seite 1 (25.9.2020). Bild: taz
Die taz hat ihre Freitagsausgabe komplett in die Hände von Klima-Aktivist*innen gegeben. Eine mutige Entscheidung. Schade, dass dabei eine journalistische Tugend auf der Strecke geblieben ist.
„Als sie mit dem Programm fertig waren, sagte einer der Aktivist.innen: ‚Wir wissen aber noch gar nicht, ob die taz morgen überhaupt erscheint‘“, schreibt Barbara Junge, die Chefredakteurin der taz auf Seite eins. Was war geschehen?
Bei der taz sind, wie in jedem seriösen Medium, Redaktion und Anzeigenabteilung streng voneinander getrennt. So fordert es auch der Pressekodex in Ziffer 7. Die Anzeigenabteilung hatte nun einen Anzeigenplatz an den Energiekonzern RWE verkauft. Das fanden die Redaktions-Aktivist*innen der Sonderausgabe so unmöglich, dass sie anscheinend in der Redaktionskonferenz am Donnerstag mit einem Nicht-Erscheinen der kompletten Zeitung drohten.
Stattdessen fand man wohl einen Kompromiss: Die taz erschien am Freitag und anstelle der Anzeige wurde ein Text dreier Aktivist*innen veröffentlicht: „Hier könnte Ihre Werbung stehen“. Wenn man so will ein doppelter Sieg fürs Klima – keine RWE-Anzeige und mehr Platz für den sicherlich notwendigen Diskurs. Aber leider hat der Journalismus damit verloren.
Taz-Chefredakteurin Junge schreibt dazu weiter: „Es war gut, dass zum Klimastreiktag dieser so schwer auflösbare Widerspruch sichtbar wurde. Denn genau darum geht es doch: Wie viel Normalität können wir uns mit der Erderhitzung noch leisten?“ Ich finde die Entscheidung, die Klima-Aktivist*innen die Ausgabe am Tag des globalen Klimastreiks am 25. September 2020 gestalten zu lassen mutig und toll. Und mit Ihrer aufgeworfenen Frage hat Barbara Junge in meinen Augen absolut recht. Und nein, die taz verstößt damit auch nicht gegen den so oft falsch zitierten Satz von Hanns Joachim Friedrichs „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“ Sich gegen die Klimakrise und für Umweltschutz, für Menschlichkeit, für Freiheit und Demokratie oder gegen Extremismus einzusetzen steht nicht im Widerspruch zu seriösem und gutem Journalismus.
Trotzdem halte ich es für problematisch, dabei die aus guten Gründen etablierten Regeln des Journalismus wie die strikte Trennung von Anzeigenverkauf und Redaktion aufzukündigen.
„Das Verhältnis von Redaktion und Anzeigen wird nicht ausreichend infrage gestellt. Mit dieser Haltung ergeben sich Verlage der Diskursmacht der fossilen Industrie“, schreiben Julia Dittmann, Julian Hirschmann und André Rösner in ihrem Beitrag, der anstelle der RWE-Anzeige publiziert wurde. Mal abgesehen davon, dass sie meiner Meinung nach die Wirkung einer Anzeige über- und die Reflexionsfähigkeit der Leser*innen an dieser Stelle möglicherweise unterschätzen, fordern sie nicht weniger als eine Gesinnungsprüfung für Anzeigenkunden. Nur wer genehm – in diesem Fall klimafreundlich – ist, darf noch werben.
Um den sowieso massiven Anzeigenrückgang der Medien, noch befeuert von der Corona-Pandemie, müssen sich die einmaligen Zeitungsmacher*innen keine Gedanken machen – und damit auch nicht um die grundsätzliche Finanzierbarkeit von Journalismus. Um den Diskurs machen sie sich aber offensichtlich viele Gedanken. Der leidet aber am meisten, wenn relevante Stimmen, soweit sie sich im demokratischen und rechtlich zulässigen Rahmen bewegen – und dazu gehört auch ein Energiekonzern wie RWE nun mal –, einem aber nicht in den Kram passen, bzw. nicht die eigene Meinung wiedergeben, einfach ausgeblendet werden. Von Journalist*innen wird immer wieder gefordert, objektiv zu sein und alle relevanten Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Diesem Anspruch müssen Aktivist*innen nicht gerecht werden. Wenn sie Journalist*innen sein wollen, aber schon.
Ein Kommentar von Paul Eschenhagen