Urteil
Heimliche Videoaufnahmen in Firmen zulässig
Es muss um einen Vorgang gehen, der in der Bevölkerung als "einschneidender Missstand" gilt
Ein positives Urteil für Journalisten, die Undercover-Reportagen produzieren: Die Ausstrahlung heimlicher Videoaufnahmen von an sich legalen Vorgängen in Betrieben ist dann zulässig, wenn das öffentliche Informationsinteresse eindeutig stärker wiegt als die Nachteile, die der Firma durch die Veröffentlichung drohen. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Vorgang "von weiten Kreisen der Bevölkerung als ein einschneidender Missstand wahrgenommen" wird. Das hat das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 9. Oktober 2014 entschieden.
Konkret ging es um eine Reportage des Südwestdeutschen Rundfunks über Leiharbeiter im Einsatz bei der Daimler AG. Ein Journalist hatte sich bei einer Leiharbeitsfirma beworben und anschließend in einem Werk der Daimler AG gearbeitet. Hier hatte er heimlich Videoaufnahmen angefertigt, um zu zeigen, dass "diese trotz gleichwertiger Arbeitsleistung und Eingliederung in den Produktionsprozess wesentlich niedrigere Löhne als die Stamm- und Leiharbeitnehmer des Unternehmens erhielten". Die Daimler AG wollte die Ausstrahlung verhindern, weil keine rechtswidrigen Vorgänge gezeigt worden seien und das Persönlichkeitsrecht der Firma durch die Ausstrahlung erheblich verletzt werde.
Bewertung: Rechtlich gesehen ist eine Foto- oder Videoaufnahme auf privatem Grund genehmigungsbedürftig. Oft kommt es nicht zu Problemen, wenn Fotografen oder Filmer offen mit der Kamera hantieren und sich die Hauseigentümer, -besitzer oder Firmenvertreter darauf einlassen. Eine förmliche bzw. schriftliche Genehmigung ist nicht erforderlich, diese kann auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten erfolgen.
Eine heimliche Aufnahme in einem Privathaus oder Betrieb ist dagegen regelmäßig als Verletzung des Hausrechts einzustufen. Die rechtswidrige Aufnahme führt jedoch dann nicht zu einem Verbot der Veröffentlichung, wenn die Öffentlichkeit ein Informationsinteresse am dokumentierten Vorgang hat und dieser einen möglichen Nachteil der Privatperson oder der Firma eindeutig überwiegt. Das Landgericht Stuttgart hat im vorliegenden Fall klar gemacht, dass es nicht darauf ankommt, dass der dokumentierte Vorgang rechtmäßig oder rechtswidrig ist, vielmehr ist entscheidend, ob er von weiten Teilen der Bevölkerung als einschneidender Missstand wahrgenommen wird.
Das Urteil ist kein Freibrief für Journalisten und andere Publizisten, Videoaufnahmen und Fotos verdeckt anzufertigen und in den Medien oder im Netz zu veröffentlichen. Beispielsweise ist die Veröffentlichung von Videos und Bildern getrennt von der Verwendung von Tonaufnahmen zu beurteilen, die eventuell im Rahmen von Videoaufnahmen erfolgen.
Da heimliche Tonaufnahmen nach § 201 StGB strafbar sind, wäre eine Ausstrahlung auch von Gesprächen viel eher als unzulässig zu beurteilen als die bloße Sendung von Videoaufnahmen ohne Ton. Entsprechend ist fraglich, ob das Urteil, das hier Aufnahmen in einem Betrieb zeigt, auf alle Bereiche der Firma übertragen werden kann. Wenn es beispielsweise um Bereiche ginge, in denen auch sensible Produktionsgeheimnisse (etwa neue Entwürfe für Autos) zu sehen wären, wäre das mehr als zweifelhaft (Ausnahme wiederum: Daimler behauptet im Jahr 2020, nur noch Solarfahrzeuge zu entwerfen, im Modellstudio stehen aber mehrere konkrete Modelle für weitere Benziner).
Das gleiche Fragezeichen gilt für Privatwohnungen. Da hier eine heimliche Bildaufnahme einer Person regelmäßig nach § 201a StGB strafbar ist, wird eine Veröffentlichung nur in sehr extremen Konstellationen zulässig sein (Beispiel: Mafiosi überreicht dem Bundeskanzler in dessen Privatwohnung einen Geldkoffer). Daher ist vor Anfertigung und Verwendung heimlicher Video- oder Bildaufnahmen die Einholung von Rechtsrat zu empfehlen.
Landgericht Stuttgart, Aktenzeichen 11 O 15/14, Quelle: Pressemitteilung
Michael Hirschler