Christian Drosten
Hat wirklich Besseres zu tun
„Ich habe diese Woche mich fast nur mit der 'Bild'-Zeitung herumgeärgert. Es hat mich extrem viel Zeit gekostet und das verzögert die Wissenschaft inzwischen ganz maßgeblich.“ Das sagt Prof. Christian Drosten im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“. Das ist ihm lästig – und es schadet der Gesellschaft und dem Journalismus.
„Ich habe Besseres zu tun“, war seine Reaktion auf Twitter auf die Anfrage der „Bild“. Ja, er hat sicher Besseres zu tun. Beispielsweise dafür zu sorgen, dass genau die Fakten erforscht werden, die die Politik für vernünftiges Handeln jetzt benötigt und die die „Bild“ einfordert.
Die Wissenschaft arbeitet derzeit unglaublich schnell. Valide Ergebnisse werden tatsächlich erst in Jahren vorliegen. Bis dahin versuchen Forscher in der aktuellen Lage alles zusammenzutragen, was – ganz gegen die Gepflogenheiten ihrer gründlichen Disziplinen – irgendwie helfen kann, erst einmal ein Bild zu bekommen. Der Lohn dafür ist, dass sie jetzt öffentlich an den Pranger gestellt werden. Und ein Forscher, der bisher kaum etwas mit Öffentlichkeit zu tun bekommen hatte, steht nunmehr im Zentrum des Hasses, von Morddrohungen und diffamierender Berichterstattung. Das ist der Dank dafür, dass er den Elfenbeinturm verlassen hat und Woche für Woche sich mehrere Stunden Zeit nimmt, in einem NDR-Podcast wissenschaftlich so gut zu erklären, dass er einen Preis dafür als Wissenschaftskommunikator verdient hätte. Jeder, der überlegt hatte, ihm in der nächsten Krise zu folgen, wird sich das drei Mal überlegen. Es wäre schade darum.
Natürlich ist es unglücklich, dass Prof. Christian Drosten die Anfrage der „Bild“ zunächst vollständig mitsamt Handynummer veröffentlicht hat. Er hat dies rasch korrigiert – eine Tätigkeit, die der „Bild“ bis heute nicht gelungen ist, im Gegenteil. Stattdessen setzte sie ihre, man kann es nicht anders nennen, „Hetzkampagne“ bis in die Bundespressekonferenz fort. Als Referenz dienten ihr zunächst Statistiker – die sich alle vom „Bild“-Artikel distanziert haben - und nun Alexander Kekulé. Der, das muss man erwähnen, zwar Infektionsforschung betreibt, aber anders als Prof. Drosten nicht seit Jahren an Coronaviren forscht, sondern an Hepatitis- und Influenzaviren. Dort ist er sicher Fachmann. Nur: Das sind zwar auch Viren, aber Pottwale und Menschen sind auch beides Säugetiere – und wer lässt sich schon von einem Veterinär gern den Blinddarm entfernen? Auch das muss man als Fachjournalist wissen und einordnen: wo die Grenzen eines Experten liegen.
Ob man die Anfrage im Wortlaut veröffentlichen muss oder nicht, kann man trefflich diskutieren. Die wörtliche Veröffentlichung macht aber die Methode deutlich: keine offenen, fairen Fragen, wie es eigentlich in unserem Gewerbe sein müsste. Stattdessen die Hoffnung, dass der Angefragte dumm genug ist, in die Falle zu tappen und sich in eine Verteidigungshaltung zu bewegen, in der er keine faire Chance bekommt. Das nämlich macht die wörtliche Veröffentlichung klar: Es ging nur darum, eine vorgefasste, schlecht bis gar nicht recherchierte Meinung zu bestätigen.
Denn handwerklich fehlt dem Beitrag vieles. Manches, was ein Fachjournalist gewusst hätte, vieles, was aber auch jeder andere Journalist weiß. Manchmal reicht ein Blick in den Kalender: Eine Studie aus April kann gar der Anlass für die Politik gewesen sein, im März die Kindergärten zu schließen. Oder dass man aus einem „könnte“ im NDR-Podcast ein „können“ macht. Das ist mehr als ein feiner semantischer Unterschied, das ist eine verfälschte Aussage. Oder dass man Zitate englischsprachlicher Wissenschaftler frei, aber eben nicht verfälschend übersetzen darf und schon gar nicht aus dem Zusammenhang reißen.
Manches kann man vielleicht nicht wissen, wenn man nicht Fachjournalist ist – zum Beispiel, dass Vorabveröffentlichungen exakt dazu da sind, von Fachkollegen kritisiert zu werden. Die in dem Falle übrigens nicht Virologen sind, sondern Statistiker – und sich auf einmal wundern, dass ihre eher wenig beachtete Disziplin auf einmal so in den Fokus gerückt ist. Sie bestreiten auch gar nicht den Wert der Daten und der Interpretation, wünschten sich aber eine weniger grobe Statistik. Warum das Team um Drosten diese gewählt hat, hat er schon vor der Vorabveröffentlichung erklärt und tut dies immer noch. Und wie es in der Wissenschaft üblich ist, nehmen die Forscher diese Anregungen vor der endgültigen Veröffentlichung auf – die Wochen dauern wird, bis sie durch den Begutachtungsprozess durch ist. Zeit, die wir derzeit nicht haben. Einer der Statistiker ist mittlerweile zum Koautoren der Studie geworden und sorgt genau dafür, dass eine gute Studie noch besser wird. Auch das ein in der Wissenschaft nicht häufiger, aber auch nicht unüblicher Vorgang.
Man möchte fast eine gewisse Verzweiflung dahinter vermuten: Die Auflage der „Bild“ hat sich in den vergangenen Jahren halbiert. Die proklamierte „Meinungsführerschaft“ schwindet spürbar und anscheinend spürt das auch die „Bild“.
Auch Boulevardjournalismus hat seinen Platz in unserer Gesellschaft. Aber dabei darf der „Boulevard“ den „Journalismus“ nicht vergessen: Fairness und saubere Recherche gehören auch hier zum Handwerk. So wie die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, wenn man sie – aus Versehen oder wissentlich – gemacht hat, statt nachzutreten.
Ein Kommentar von Markus Peick (Kontakt über Paul Eschenhagen)