Soziales
Hartz IV für Selbständige befristen?
Der Chef der Arbeitsagentur will den Selbständigen den letzten Strohhalm nehmen. Zu Recht?
Selbständige, die wenig Geld verdienen, können ergänzend Arbeitslosengeld II erhalten - genau wie gering verdienende Arbeitnehmer. Das Prinzip ist simpel: Als Zieleinkommen gilt das "Grundsicherungsniveau". Das sind dann für einen allein lebenden Erwachsenen 382 Euro im Monat, zuzüglich Kosten für die Wohnung und die Krankenversicherung. Wer beispielsweise als freier Journalist monatlich nur 300 Euro Gewinn erzielt, könnte - wenn wir einmal von einer Wohnung mit einer Miete von 500 Euro ausgehen - 582 Euro monatlich als "Aufstockung" erhalten. Die - selbst bezahlte - Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse könnte übrigens auch eingespart werden, denn die Arbeitsagentur hat die Krankenversicherungskosten ebenfalls zu zahlen.
582 Euro monatlicher Zuschuss plus kostenfreie Krankenversicherung - das hört sich schon fast nach einem Geschäftsmodell an. Das meint jedenfalls der Chef der Arbeitsagentur Frank-Jürgen Weise. Mit Berufung auf eine Studie des hauseigenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) forderte er pünklich zum Weihnachtsfest die Befristung der Hartz-IV-Leistungen für Selbständige.
Die Studie des IAB hatte Weise dabei offensichtlich nicht so genau gelesen. Diese führte die dort konstatierte Zunahme der Zahl "hartzender" Selbständiger vor allem darauf zurück, dass die Arbeitsagentur Nebenverdienste ihrer "Kunden" genauer erfasst. Folge: Wenn auch Kleinstgewinne von monatlich 100 oder 200 Euro berücksichtigt werden, mutieren ganz viele bisher als "bedürftige Arbeitnehmer" registrierte Personen plötzlich zu "Selbständigen, die Hartz IV beziehen". Was natürlich schräg ist: Leute mit so geringen Honorareinkünften können wohl kaum als "selbständig" bezeichnet werden, wenn man noch ein wenig semantischen Anstand hat: Selbständigkeit hat etwas mit "selbst stehen" zu tun. Das geht mit 200 Euro Honorargewinn im Monat wohl kaum.
Richtig ist allerdings, dass sich die IAB-Studie durchaus dem Phänomen eines kleineren Kreises der Hilfebedürftigen widmete, bei denen ein ständiger Bezug von Arbeitslosengeld II festzustellen war. Hier setzte das IAB mit seinem Vorschlag an, die Leistungen zu befristen. Eine Idee, die der Chef der Arbeitsagentur prompt aufgriff und (richtig) öffentlich machte.
Für freie Journalisten ist Hartz IV bzw. Arbeitslosengeld II im Regelfall kein Thema. Nach einer Umfrage des DJV beziehen nur rund 2 Prozent der Freien Arbeitslosengeld II, obwohl die Berufsgruppe eigentlich zum Kreis der Wenigverdiener zählt und über ein Drittel der Freien weniger als 1.000 Euro Gewinn im Monat erwirtschaftet. Der Grund für "wenig Hartz IV" ist recht simpel: Rund zwei Drittel der Freien leben mit einem Partner zusammen. Diese gelten bei der Arbeitsagentur als Bedarfsgemeinschaften, will heißen: Wenn beide Einkommen zusammen gezählt mehr als das Grundsicherungsniveau erbringen, gibt es keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Darüber hinaus haben viele Journalisten über Jahre hinweg mühsam eine halbwegs ausreichende private Altersversorgung aufgebaut, beispielsweise mit einer Versicherung bei der Presseversorgung. Wer größere Altersversorgungsguthaben hat, kann aber kein Arbeitslosengeld II beziehen.
Der DJV hat gleichwohl immer wieder Kontakt zu Mitgliedern, die Arbeitslosengeld II beziehen. Die Ursachen haben häufig wenig mit einem "bewussten Geschäftsmodell" zu tun. Einer der Hauptgründe ist die fehlende Möglichkeit, sich während der Selbständigkeit (freiwillig) für die Arbeitslosigkeit zu versichern und damit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erhalten. Der Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung ist nur möglich, wenn bereits ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestanden hat. Darüber hinaus werden eine Reihe von Journalisten nur scheinselbständig in den Medien beschäftigt, also mit hoher Abhängigkeit, aber ohne Zahlung von Beiträgen des Arbeitgebers für die Arbeitslosenversicherung. Werden diese Journalisten entlassen, bleibt ihnen nur Arbeitslosengeld II als Ausweg.
Hinzu kommt die neue Praxis beim Gründungszuschuss: Während bis Ende 2011 die Existenzgründung mit Unterstützung der Arbeitsagentur möglich war, ist das seit den gesetzlichen Änderungen durch Arbeitsministerin von der Leyen nur noch im Ausnahmefall möglich. Folge: Wer gründet, muss jetzt öfter Hartz IV beantragen.
Manchmal ist der Grund für den Bezug von Arbeitslosengeld II aber auch einer sozialen Realität geschuldet, die man eher im 19. Jahrhundert angesiedelt sehen glaubte. Da ist der Fall des allein erziehenden Journalisten, der sich liebevoll um seinen krebskranken Sohn kümmert (nota bene: "kümmert"; bewusst nicht: "kümmern muss"). Der Journalistin, die - wie nicht wenige - einen etwas älteren Mann geheiratet hatte, der jetzt pflegebedürftig wird. Noch nicht ganz Pflegestufe, aber dennoch betreuungsbedürftig. Da ist die Journalistin, die mit schweren Traumatisierungen von einem Auslandsaufenthalt zurück kam. Sie alle haben gemeinsam: Ihnen fehlt die Zeit, die üblichen 50 bis 60 Stunden in der Woche zu arbeiten, die das Überleben als freier Journalist möglich machen würde.
Hartz IV befristen? Für viele Bezieher von Arbeitslosengeld II wirkt das wie ein (letzter) Hohn der Arbeits(platz)gesellschaft und ihrer führenden, wohlverbeamteten Repräsentanten, die bekanntlich selbst allenfalls unter dem Steinbrück´schen Gehaltskomplex leiden müssen.
Richtig ist allerdings: Wer dauerhaft mit seinem Einkommen als freier Journalist um den Hartz-IV-Pegel pendelt, sollte sich klarmachen, dass er sich damit stark unter dem eigentlichen Marktwert verdingt. Der Großteil der Freien hat einen akademischen Abschluss und könnte auf dem Arbeitsmarkt damit monatlich eher 4.000 Euro und mehr verdienen. Um das zu erzielen, müsste freilich der Wechsel in andere Branchen erwogen werden. Vertriebsleiter für einen Lebensmittelproduzenten oder Mitarbeiter der Personalabteilung - alles das sind Jobs, die auch (ehemalige) Journalisten machen könnten. Und vieles mehr.
Es ist vollkommen richtig, wenn (dauerhaft) schlecht verdienende Selbständige zum Wechsel in eine besser bezahlte Berufstätigkeit motiviert werden. Das gilt auch für Journalisten. Und auf die Publizistik muss trotzdem nicht verzichtet werden. Wer wirklich publizieren will, kann dies auch am Abend oder am Wochenende. Und möglicherweise mit mehr Freiheit, weil das Geld jetzt schon woanders verdient wird.
Gleichwohl sollte klar sein, dass es sich bei dem Vorstoß der Arbeitsagentur um eine Geisterdebatte handelt. Denn in vielen Fällen gibt es die besser bezahlten Stellen als Arbeitnehmer gar nicht. Der Umzug in andere Regionen scheidet oft schon deswegen aus, weil es beim potenziellen neuen Arbeitgeber keine Wohnung gibt, weil Vermieter ungern an (noch) Arbeitslose vermieten. Und wer will das Risiko des Umzugs in der Probezeit riskieren, in der die Entlassung besonders einfach ist?
Und worauf sollte denn die Befristung der Leistungen hinaus laufen? Dass sich die (ehemals) Selbständigen in (oft) nutzlosen wochenlangen Bewerbungstrainings quälen, in denen ihnen 18-jährige Ex-Azubis der Arbeitsagentur erklären, wie ein Anschreiben an einen Arbeitgeber formuliert wird? Dass Selbständige, statt jedenfalls etwas Geld zu verdienen, pro Monat 100 Bewerbungsbriefe verschicken?
Besser wäre es, wenn sich die Arbeitsagentur ein Programm überlegen würde, wie sie qualifizierte Hilfebedürftige in stabile Jobsituationen bringt. Vor allem durch Trainingsmaßnahmen neben der Selbständigkeit, nicht an ihrer Statt. Wer dagegen einfach nur befristet und streicht, riskiert, dass die "Kunden" in Zukunft statt teilweise aufzustocken dann eben vollständig hartzen werden. Das wird dann für den Steuerzahler und die Sozialversicherungsgemeinschaft nur noch teurer.
Michael Hirschler, hir@djv.de