Angela Merkel
Geheimsache Interview
Interviews mit der Bundeskanzlerin sind kostbar, egal was sie sagt. Denn faktisch finden sie kaum noch statt. Um das herauszufinden, musste ein Anwalt Klage einreichen.
Das Verhältnis von Angela Merkel zu den Journalisten der Hauptstadtmedien galt viele Jahre lang als entspannt, ja professionell. Fragen in der Bundespressekonferenz wich Merkel nicht aus, wusste aber, wie und wann sie einen Schlusspunkt markieren konnte: in der Regel mit einer kurzen und schnippischen Antwort. Darauf müssen Journalisten jedoch immer häufiger verzichten. Der Tagesspiegel zitierte jetzt aus einer Statistik des Bundespresseamts, nach der die Kanzlerin im vergangenen Jahr nur noch 22 Interviews gegeben haben soll. Zum Vergleich: Mehr als 60 pro Jahr waren es vorher.Dass der Tagesspiegel diese Zahlen nennen kann, ist nur der Hartnäckigkeit eines Anwalts zu verdanken, der aus privatem Interesse das Informationsfreiheitsgesetz bemühen wollte und vor Gericht durchsetzte. Die Rede ist von einer schnöden Zahlenerhebung, bei der es nicht um Inhalte geht. Daraus wollte das Umfeld der Kanzlerin eine Geheimsache machen. Haben Angela Merkel und die Ihren den Boden unter den Füßen verloren? Oder glaubt die Kanzlerin etwa tatsächlich, dass ihre wöchentlichen Videobotschaften journalistische Interviews ersetzen könnten?Können sie nicht. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht auf Informationen, die auf kritische Journalistenfragen zurückgehen.Ein Kommentar von Hendrik Zörner