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Netzjournalismus

Freier als „Text-Nutte auf dem Content-Strich"?

12.12.2012

Semantische Suche und die Zumüllung durch Content-Farmen


Die Besucherzahl ist die wichtigste Währung im Web. Sie bestimmt die Preise für Anzeigenbanner und die Vergütungen für Google-Werbung. Um die Besucherzahl zu steigern, setzen viele Anbieter auf Suchmaschinenoptimierung (Internet-Englisch: Search Engine Optimization, Kurzform SEO). Denn nur wenige Besucher kommen wegen persönlichen Empfehlungen von Bekannten oder spezieller Werbung. Die meisten gehen über das Suchergebnis einer Internetseite. Im Prinzip geht es daher beim SEO darum, die Seiten mit Daten auszustatten, mit denen die Suchmaschine denkt, dass die Seite den gesuchten Inhalt bietet.

Suchmaschine heißt: Google


Bei Suchmaschinen macht es wenig Sinn, abstrakt zu bleiben. Suchmaschine ist bei einem Marktanteil von rund 92 Prozent synonym mit Google. Auch denkt die Suchmaschine nicht, sondern arbeitet Suchkriterien ab, die von Google-Mitarbeitern festgelegt werden.

In der Vergangenheit war das Suchergebnis stark von der Verschlagwortung von Seiten und sonstigen Datenangaben abhängig. Im Übrigen handelte es sich um ein Katz-und-Maus-Spiel der Google-Mitarbeiter mit SEO-Spezialisten. War ein Tipp zur Optimierung in der Welt, konnte mit Änderungen durch Google gerechnet werden.

Demand Media: Mundgerecht für das Suchergebnis

Die Firmen merkten dabei, dass Google die Platzierung nackter Schlagworte ohne textlichen Zusammenhang sanktionierte. Inhalte, in denen begehrte Begriffe vorkamen, mussten geboten werden. So kamen Betriebe wie Demand Media auf den Plan.

Das Modell von Demand Media, einem  der führenden Anbieter suchmaschinengerechter Beiträge, ist recht einfach. Sein System erkennt, welche Suchbegriffe bei Google besonders gefragt sind und gibt entsprechende Beiträge in Auftrag. Diese werden im Regelfall mit rund 20 Dollar pro Beitrag vergütet. Wer mehr schreibt, bekommt mehr Geld. So einfach kann es sein.

Semantische Suche als Gegengift

Die Antwort von Google auf diese und andere Strategien lautete zuletzt: Wir führen die semantische Suche ein. Bei dieser Suche soll automatisch erkannt werden, ob Inhalte einer Seite qualitativ hochwertig sind oder eben doch nur der Steigerung von Nutzungszahlen dienen sollen. Mit dem so genannten „Panda-Update“ wollte Google solche „Contentfarmen“ aus der Suchmaschine ausschließen, die Inhalt nur für Benutzerzahlen und nicht für hehre Informationszwecke produzieren.

Die Umstellung führte bei Demand Media zunächst zu Millionenverlusten. „Das Ende von Contentfarmen und einfach gestricktem SEO“, frohlockten einige Internetexperten. Auch in Medienfirmen machte sich die Hoffnung breit, dass sich Qualitätsinhalte anscheinend lohnten. Das Produzieren von Inhalten „nur“ für Aufmerksamkeit im Web schien Vergangenheit.

Doch im November 2012 annoncierte Demand Media für das dritte Jahresquartal wieder einen Gewinn von rund 3 Millionen Dollar und einen Quartalsumsatz von 92 Millionen Dollar. Für das gesamte Jahr wird mit einem Umsatz von über 360 Millionen Dollar gerechnet. Demand Media führte das darauf zurück, dass die Qualität der bereit gestellten Beiträge deutlich gesteigert worden sei.

Content-Farmen auch in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es dieses Geschäftsmodell, kritisiert Andreas Lerg vom Blog wir-in-rheinhessen.de. Seine Nachfragen bei solchen Anbietern zeigten, dass eine Honorierung der Autoren nicht angedacht ist. Freie werden dort, wenn überhaupt, maximal wie „Nutten auf dem Content-Strich“ behandelt, formuliert er in drastischer Zuspitzung.

Plattformen wie experto.de zielen darauf, Berufstätige mit Fachkenntnissen als kostenlose Autoren zu gewinnen. Einkünfte werden laut Lerg nur in seltenen Fällen erzielt, aber das ist auch meist nicht das Ziel. Motiv dieser Fachautoren ist vor allem erhofftes soziales Prestige oder Marketing für die eigene Tätigkeit.

Was bedeutet es für den (freien) Journalismus und auch für die Chancen „ehrlichen“ Contents, wenn Inhalte ohne weiteren publizistischen Anspruch auf dem Markt präsent sind und damit den „echten“ Inhaltemachern Aufmerksamkeit und Besucherzahlen wegnehmen? Das ist die Frage, die Lerg stellt.

Was ist heute noch ehrlicher Inhalt?


Aber ist der „ehrliche Content“ nicht auch ein gutes Stück Illusion? War und ist es nicht auch Strategie deutscher Medienhäuser, Aufmerksamkeit fast um jeden Preis zu erringen, wird nicht inzwischen auch in Deutschland mehr an der Überschrift und dem Teasertext herumgedoktert als überhaupt recherchiert wird? Kann in Online-Redaktionen überhaupt noch recherchiert werden? Geben nicht Tageszeitungsverleger mittlerweile mit Blick auf die Bloggerwelt die Parole aus, die Zeitung müsse bissiger, böser werden? Nicht mehr so viel (katholische oder sozialdemokratische) Soziallehre, sondern möglichst viel Lärm über liegen gebliebene Baustellen? Und sind nicht einige der kleinen alternativen Online-Auftritte nur deswegen so aggressiv unterwegs, weil sie dadurch Aufmerksamkeit zu erringen suchen?

Suchmaschinendiskussionen manipulieren die Suchmaschinenplaner

Die Diskussion über die Suchmaschinenoptimierung erfolgt nicht im luftleeren Raum. Jeder Diskussionsstrang - vermutlich selbst dieser kurze Beitrag - entgeht den Planern von Google nicht. Wo der Journalistenverband über Qualität im Journalismus diskutiert, debattieren die Suchfachleute von Google über die Qualität der Suchmaschine und die Frage, wie qualitativ hochwertige Beiträge von der semantischen Suche noch besser herausgefiltert werden können.

Kann Qualität aus der Satzstruktur, aus der Fülle der Fakten oder der Verlinkung von Seiten renommierter Institutionen gefolgert werden, oder aus einer Kombination solcher mit anderen Kriterien? Besteht Qualität aus möglichst vielen Fakten? Sollten Beiträge mit emotionalen Begriffen abgewertet werden? Welche Rolle spielt die - möglicherweise faktenfreie, aber eindrückliche - Haltung eines Publizisten? Ist eine Website, die mit teuer eingekauftem Material bis zum Anschlag voll gestopft ist, aber von einem rücksichtslosen arabischen Diktator finanziert wird, wirklich relevanter als die des mittellosen und karg argumentierenden Bloggers Kalle Bimbusch in Bottrop?

Die Macht der Suchmaschinen oder kürzer: die Macht von Google, lässt sich an dieser Debatte noch einmal deutlich ablesen. Wie die Maus auf die Schlange starren alle auf die Entscheidungsmacht der Suchkriterien.

Debattieren oder einfach mal was (nach-)machen?

Bedarf es einer Debatte um die Qualität von Suchmaschinen? Oder würde jedes Ergebnis nur das Tor zu neuen Manipulationen öffnen?

Während diese akademisch anmutenden Fragen debattiert werden, machen allerdings andere das Geschäft. Statt lange zu philosophieren, bauen sie Seiten und Dienste auf, mit denen Inhalte jeder Art in die Welt geblasen werden. Vermutlich macht es wenig Sinn, darüber lange zu lamentieren.

Sinnvoller als kostenloser freier Mitarbeiter von Contentfarmen wie Demand Media oder der Huffington Post (auch nichts anderes als eine große Contentfarm) zu werden, wäre der Aufbau eines eigenen, analog funktionierenden Portals allemal, oder die Mitwirkung in ihren Kernbereichen solcher Seiten. Denn auch die HuffPo beschäftigt im Redaktionsbereich Hunderte von Redakteuren und festen Freien für gutes Geld. Gänzlich alleine gegen diesen Content-Tornado zu bestehen erscheint dagegen sehr unrealistisch.


Michael Hirschler, hir@djv.de









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