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Huffington Post und Co.

Freie Journalisten im Schaufenster

03.05.2013

Was man beim Promenieren auf Berlins Straßen alles entdecken kann


Als ich kürzlich auf dem Kurfürstendamm spazieren ging, jenem alten und wieder neuen, eigentlich wirklich wahren Herzen Berlins, entdeckte ich im Schaufenster eines Modeladens etwas Ungewöhnliches, so dass ich stehen blieb und die Auslagen näher studierte: Dort saß an einem Schreibtisch, ein alter Bekannter, Maxim G., der mir zuletzt als freier Journalist begegnet war. Er tippte auf einen Laptop ein, bemerkte mich aber sogleich und begann wild zu winken und mich mit Handbewegungen in den Laden zu lotsen.

Ich zögerte zunächst, denn das Modegeschäft war einer dieser sehr teuren Luxusläden, die in den letzten Jahren am Kudamm aufgemacht haben und in denen allenfalls meine Nachbarin Lara, die Frau des berühmten russischen Pianisten R., shoppen geht, nachdem sie vom Dauerurlaub auf Madeira zurückgekehrt ist. Für uns normalere Menschen ruft eine solche Boutique angesichts der Preise eher das Gefühl der Macht- und der Hilflosigkeit hervor, bis zu dem vagen Gefühl, dass eine schnelle (gleichwohl natürlich möglichst unblutige) Revolution die beste Lösung für diese Gesellschaft wäre.

Endlich, nachdem das Winken kein Ende nahm und auch die Dame hinter dem Tresen mir aufmunternd zunickte, wagte ich mich in diesen Tempel der Reichen und Erlesenen, um dann etwas unsicher durch die Auslagen zum Tisch meines Bekannten zu stapfen. „Mensch, was für eine Freude!“ rief Maxim und schüttelte mir die Hand.

„Machst Du eine Reportage über den Modehandel?“ fragte ich neugierig. „Reportage? Nein!“ wehrte er mit geradezu Widerlichkeit verratender Gestik ab, „Reportagen gehen doch heute nicht mehr. Keine Redaktion zahlt mehr dafür. Fahrtkosten, Übernachtungen, Spesen, kannst Du alles vergessen. Und dann noch die Honorare! Für dreißig Cent pro Zeile? Nein, Reportagen macht doch kein Mensch mehr, der betriebswirtschaftlich denken kann!“

Er schien mein fragendes Gesicht geradezu zu genießen. Nach einer Kunstpause fuhr er fort: „Ich blogge, ist doch klar!“ - „Über soziale Probleme in der Modebranche?“ fragte ich. Maxim zog ein Gesicht, das nun wirklich Ekel verriet. „Soziales? Politik? Hier aus Berlin? Kauft doch kein Mensch, solche Beiträge. Selbst die wenigen Korrespondenten der Tageszeitungen werden solche Berichte nicht mehr in den Redaktionen los! Such Dir Themen, die sich verkaufen, die interessieren. Also etwa, welches die angesagte Hosenfarbe der Saison ist. Das interessiert die Leute, wie ich übrigens auch merke, wenn ich mich abends irgendwo bei Medienmenschen einlade. Da redet auch keiner über soziale Probleme!“

Ich blickte erst ihn an, dann den Laden: „Aber warum bloggst Du dann ausgerechnet hier?“ Maxim schaute mich nun wirklich überlegen an. „Warum? Weil ich hier direkt in der Szene bin! Und für den Laden bin ich ein Publikumsmagnet. Die Leute bleiben stehen, fangen an zu reden und landen am Ende hier drinnen und kaufen ein!“ Mit etwas gewitzter Miene fügte er dann hinzu: „Und natürlich blogge ich über die Klamotten und Taschen hier. Auf dem Blog dieser Boutique! Das schafft dann noch mehr Umsatz!“

Das Prinzip leuchtete mir jetzt ein. Da ich - wie alle Deutschen - in Finanzfragen recht unverblümt bin, fragte ich ihn ohne Umschweife: „Und wie viel zahlt Dir der Laden dafür?“ Maxim warf mir jetzt einen absolut verachtenden Blick zu: „Zahlen? Mir? Der Laden? Natürlich nichts!“ Ich stutzte. „Du arbeitest kostenlos? Was macht das denn für einen Sinn?“

Maxim schüttelte den Kopf, als hätte er es mit einem Alzheimer-Kandidaten zu tun. „Geld, zahlen, das ist doch viel zu kurz gedacht. Überleg mal, was das für eine Werbung für mich ist! Wie viele Leute sich für Mode interessieren und den Blog lesen! Und dann die Leute, die hier am Schaufenster vorbeigehen, pro Tag! So viele Leute, wie hier am Tag vorbeischlendern, bekommen viele Online-Auftritte nicht einmal im Monat! Nicht selten kommen sogar Redakteure vorbei, man glaubt gar nicht, wie viele von ihnen zu bester Tageszeit mal eben bummeln gehen!“ - „Aber was nützt Dir diese Bekanntheit?“

Maxim geriet jetzt richtig in Fahrt: „Aufmerksamkeit ist heutzutage die Währung der Wirtschaft! Bist Du erst einmal so bekannt geworden, so eine richtige Marke, dann rollt der Rubel. Du wirst überall eingeladen, in die Talkshows, kannst Gastbeiträge in den bekannten Medien schreiben, gehst Vorträge halten und Trainings für Großfirmen, und dann kannst Du Coach werden und machst da richtig Geld!“ - „Du verdienst jetzt also schon Geld, sozusagen indirekt?“

Maxim machte wieder eine ablehnende Geste: „Das braucht seine Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen. So ein Image muss erst einmal aufgebaut werden. Ich mache das erst vier Monate lang. Eine Existenzgründung, das ist bekannt, dauert meistens rund drei Jahre, bis sie etabliert ist!“  

Mich packte jetzt die Wut. „Du willst drei Jahre lang kostenlos bloggen und die ganze Zeit hier sitzen? Was ist das denn für ein Geschäftsmodell? Du schadest Dir doch damit! Und überhaupt, was hat das denn mit Journalismus zu tun, ich dachte, das war immer Dein Traum!“

Maxim ließ sich durch meinen Einwand in seinem Enthusiasmus nicht bremsen: „Warte mal ab. Bald werde ich hier noch eine Meta-Ebene einziehen und andere Kollegen in dieses Geschäftsmodell vermitteln. Jeder, der Schaufensterschreiber werden will, meldet sich bei mir. Ich verteile die Leute auf interessierte Läden, werde also ein Kurator für Fensterschreiber. Kuratieren, das ist die neue Art der redaktionellen Arbeit!“

Während ich noch nach irgendwelchen Gegenargumenten suchte, begann Maxim schon wieder in Richtung Straße zu winken. Ich entdeckte den mir vertrauten Verleger Viktor S., der für seine Kollektion liebevoller Übersetzungen russischer Exilliteratur des 19. Jahrhunderts bekannt geworden ist. Auch Viktor zögerte erst, ließ sich dann aber ebenfalls ins Schaufenster bitten.

Maxim und er umarmten und küssten sich ganz nach russischer Art, während ich - wie immer deutsch-direkt - Viktor auf den Rücken schlug und rief: „Viktor, alter Verleger, wie laufen die Geschäfte?“ Viktors Gesicht verdüsterte sich sofort und nahm Züge der tiefsten Verzweiflung an. „Ganz miserabel, der Verlag ist in Insolvenz! Und keine Hoffnung! Niemand will mehr Bücher kaufen, die Leute holen sich Raubkopien im Internet, und das war´s. Wir künstlerischen, wir publizistischen Menschen sind in dieser Zeit unerwünscht, wir gehen pleite!“

Er holte mit dramatischer Geste eine Wodka-Flasche aus seinem großen Mantel und zauberte zugleich drei kleine Gläschen hervor, schenkte ein, dann tranken wir sofort aus und wiederholten die Zeremonie einige Male. „Viktor, Du könntest das Gleiche machen wie ich!“ rief Maxim und zeigte um sich herum: „Bloggen musst Du. Kannst gleich einsteigen!“ Er zeigte auf einen zweiten Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. „Und überhaupt, ich brauche noch einen, der mir beim Kuratieren hilft! Das Organisatorische war ja nie so mein Ding!“ Viktor und er setzten sich an den Tisch und begannen auf Russisch zu palavern, ohne mich weiter zu beachten.

Ich blickte die beiden ratlos an, und zugleich überkam mich angesichts der ganzen Luxusklamotten um mich herum wieder jenes alte Gefühl, dass ich mich in einer Gesellschaft befand, die nicht die meine war. Bemüht, geradezu ängstlich, auch nur irgendeines der kostbaren Ausstellungsstücke durch meine Berührungen im Wert zu mindern, balancierte ich mich aus der Fensterauslage zurück in den Laden und stahl mich, wohl unbemerkt von der in einer Hochglanzzeitschrift versunkenen Verkäuferin und meinen diskutierenden Bekannten, auf die Promenade zurück.

Doch Maxim entging meine Flucht nicht. Gleich begann er wild und freundlich zum Abschied zu winken, so ungestüm sympathisch, dass meine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation gleich wieder verschwand.

Maxim ist halt ein Medienmensch. Er weiß, wie´s geht. Und nur so kann es gehen.


Alexander Alexandrowitsch Blog*





*Der Redaktion bekannt

freienblog Huffington Post

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