Freie und Feste
FAIRhaltenskodex: Nichts als heiße Luft aus dem Antragsgenerator?
Einen „FAIRhaltenskodex“ für die Zusammenarbeit zwischen Redakteuren und freien Journalisten hat jetzt das große Jahrestreffen der DJV-Journalisten in Kassel beschlossen. Kein Gesetz, kein Tarifvertrag, sondern Verhaltensregeln für faires Miteinander ohne rechtliche Bindung: Kann das funktionieren?
Wer sich noch matt an die 10 Gebote, den Pressekodex und andere ethische Regelungen erinnert, dem mag auch Bertolt Brecht einfallen: „Erst kommt der Bauch, dann die Moral“. Will heißen: Die Regeln des Zusammenlebens werden eher durch die Wirtschaft und ansonsten durch die staatliche Gewalt diktiert, nicht aber durch Gebote von Nettigkeit und Ethos.
Oder noch konkreter formuliert: Freie Journalisten sind und bleiben das fünfte Rad am Wagen, und wer mehr als 20 Cent pro Zeile und 10 Euro pro Bild will, zudem pünktliche Zahlung geltend macht, fliegt raus.
Der FAIRhaltenskodex - also wieder nichts als heiße Luft aus dem Antragsgenerator?
Vielleicht muss der neue Kodex einfach anders gelesen werden, - umgekehrt herum. Genauso wie Brecht auch anders formuliert werden darf: „Erst kommen die Bauchschmerzen, und dadurch entsteht die Moral“.
Was für Bauchschmerzen haben denn die Freien? Und umgekehrt auch die Festen?
Es steht alles im neuen Kodex. Er muss nur ein wenig umgeschrieben werden, dann ist klar, woher die Bauchschmerzen kommen.
Die Situation in den Medien sieht eben eher wie folgt aus:
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Die Realität des UNFAIRhaltens (FAIRhaltenskodex, umformuliert)
Hauptberufliche freie Journalistinnen und Journalisten (Freie) werden für ein redaktionelles Produkt (Zeitung, Zeitschrift, Internet, Radio, Fernsehen) oft für verzichtbar gehalten (deswegen werden sie auch miserabel bezahlt).
Freie ergänzen und bereichern die redaktionelle Arbeit der angestellten Redakteurinnen und Redakteure (Feste) durch Ideen, Vielfalt und spezielles Können, diese allerdings machen sich das oft nicht klar.
Eine faire Zusammenarbeit von Festen und Freien würde neben der Qualität des journalistischen Produkts auch den kollegialen und gewerkschaftlichen Zusammenhalt sichern, leider ist es anders rum: Feste und Freie lassen sich auseinanderdividieren, verhalten sich unkollegial und fangen auch noch an, die gemeinsame Gewerkschaft in Frage zu stellen - Rivalitäten, die am Ende auch die Qualität des journalistischen Produkts gefährden.
Auf der Basis gegenseitigen Unverständnisses gehen Feste und Freie im Berufsalltag unfair miteinander um, wenn sie insbesondere folgende „UNFAIRständlichkeiten“ beachten:
Feste halten sich für unzuständig in der Frage, ob Freie ein angemessenes Honorar erhalten.
Während Freie meinen, dass die Honorierung fair und mindestens nach Sätzen erfolgen sollte, die zwischen den Tarifparteien bzw. den Verbänden vereinbart wurden (zum Beispiel Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten, Honorarrahmen und Gemeinsame Vergütungsregeln), fragen sich Feste, wie sie das aus ihren Redaktionsetats zahlen sollen - und lassen die Angelegenheit dann auf sich beruhen.
Feste erteilen Aufträge an freie Mitarbeiter, um sie später in jeder Hinsicht abzuändern oder zu widerrufen - etwa durch Änderung von Beitragsart, Umfang, Honorar und Liefertermin sowie Angaben möglichen Spesen und Reisekosten. Vertraglich bindende Absprachen gibt es grundsätzlich nicht, weil sich Redakteure nicht für juristisch verantwortlich halten.
Freie beschreiben ihre Angebote – ggf. in einem schriftlichen Exposé - so, dass sich die Redaktion ein genaues Bild vom geplanten Beitrag machen kann, liefern dann aber nur einen Teil davon bzw. einen ganz anderen Beitrag ab.
Feste entscheiden zeitnah, meist zwei Tage vor Redaktionsschluss, über Themenvorschläge freier Journalisten. Exklusive Themen / Ideen werden bei Ablehnung am besten selbst bearbeitet oder an billiger arbeitende Freie vergeben.
Freie überraschen die Redaktionen damit, dass sie ihre Beiträge ohne Info zeitgleich in anderen Medien veröffentlichen.
Feste nehmen wesentliche Veränderungen an Inhalt und Umfang vor Veröffentlichung vor, ohne die Freien darüber in Kenntnis zu setzen. Sie informieren die Freien über den Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht, weil es ohnehin zu einer Verschiebung kommen kann bzw. die weitere Verwendung unklar sein kann.
Freie informieren die Redaktion oft nicht, falls sie einen Auftrag nicht zum verabredeten Zeitpunkt oder im vereinbarten Umfang erfüllen können, denn meist klappt es doch noch irgendwie. Nur nach heftigster Kritik und Drohung mit Nichtzahlung bessern sie ihren Beitrag irgendwann nach.
Festen ist es gleichgültig, ob Redaktionen vereinbarungsgemäß gelieferte Beiträge in vollem Umfang zeitnah honorieren, weil diese ohnehin öfters auch mal gar nicht oder nur gekürzt publiziert werden. Reisekosten werden nur in Ausnahmefällen und auch dann nur nach geringen Pauschalen, eher selten nach den Belegen abgerechnet.
Freie halten ihre Interessenkonflikte verborgen, die für den Auftrag bedeutsam sind.
Feste setzen Freie, die urheberrechtlich berechtigte Ansprüche stellen, frei.
Freie halten es nicht unbedingt für entscheidend, das Urheberrecht am gelieferten Beitrag zu besitzen.
Feste halten es nicht für ihre Aufgaben, regelmäßig mitarbeitende Freie über wesentliche Veränderungen in Redaktion und Medienhaus zu informieren.
Der DJV erwartet in seiner Einfältigkeit, dass sich Feste und Freie in den Medienhäusern dafür einsetzen, dass Tarife, Honorare und Vergütungsregeln in vollem Umfang gelten und die Rechte der Freien gewahrt bleiben.
Wenn Anordnungen der Arbeitgeber dagegen stehen, bekommen Freie und Feste Angst um den eigenen Arbeitsplatz und fordern Personalräte, Betriebsräte und Gewerkschaften auf, sie bitte in Ruhe zu lassen. Jede Gruppe geht lieber ihre eigenen Wege.---
Ist das die Realität an Medienhäusern? Oder auch wieder nur überzogen? Natürlich will niemand eine solche Beschreibung bestätigen, weder Feste noch Freie. Aber der eine oder andere Punkt - den hat vermutlich jeder schon einmal erlebt.
Klar ist jedenfalls eins: Die Bauchschmerzen im Miteinander entstehen aus solchen oder ähnlichen Mentalitäten.
Der FAIRhaltenskodex, der - bekanntlich - umgekehrt und damit freundlicher formuliert wurde, ist also nur eine sehr höfliche Beschreibung einer sehr problematischen Situation in den Redaktionen.
Womit wir auch wieder beim Sinn von ethischen Geboten sind. Ihre Funktion besteht nicht in dem Anspruch, sich sofort oder überhaupt komplett durchsetzen zu können. Sie sind vor allem eine Form der sehr höflich formulierten Publikumsbeschimpfung:
„Schaut in die Regeln hinein - so verhaltet Ihr Euch (leider) nicht.“
Und ab und zu beschweren dürfen und müssen sich Freie (und Feste) schon, damit es vielleicht doch besser wird. Der Verweis auf den Kodex macht die Sache einfacher. Der freundlich formulierte FAIRhaltenskodex hat damit einen ganz praktischen Zweck.
Michael Hirschler, hir@djv.de