Zukunft des Journalismus
Es geht auch ohne Großraumbüro
Wer kennt das nicht? Kapuzenpulli- bzw. Hoodieträger werden belächelt, weil sie irgendwas mit diesem Internet machen, was Kollegen mit einem Redaktionsschluss und dem dahinterstehenden Andruck sowieso nicht verstehen. Online kennt keinen Redaktionsschluss, Social Media erst recht nicht. Die Kollegen am Newsdesk im Großraumbüro sind immer busy.
Wir arbeiten gefühlt mehr und schneller. Sollten wir uns dann nicht die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass sie besser zu uns passen? Damit meine ich nicht die Tarife und Honorare. Die sind ja sowieso immer zu niedrig. Ich meine das Drumherum. Mit Online-Journalismus ohne Redaktionsschluss haben wir uns doch schon von regulären Arbeitszeiten entkoppelt. Wobei Zeitungsredakteure schon immer sonntags ran mussten, um die Montagsausgabe zu machen.
Wenn der Artikel nun nicht mehr um 18 Uhr fertig sein muss, sondern auch um 18.30 Uhr veröffentlicht werden kann, muss er dann noch in einer Redaktion geschrieben werden? Natürlich nicht, viele freie Journalisten arbeiten schließlich auch nicht in einer Redaktion. Aber muss sich ein Festangestellter wirklich zu festen Zeiten in ein schlecht klimatisiertes Großraumbüro mit entsprechendem Geräuschpegel setzen, zu dem der Weg dank Schnee, Stau oder Warnstreik mindestens genau so lange dauert, wie einen mittellangen Text zu schreiben?
Nein. Online gibt uns viele Freiheiten. Es gibt keine Mindest- oder Maximallänge. Man kann alles kombinieren, viel mehr Fotos einstellen, als auf einer gedruckten Seite Platz finden. Und Online (nicht nur als Medium) gibt uns die Freiheit, von überall zu arbeiten. Egal wo auf der Welt. Journalismus unter Palmen, ein Traum. Es wird auch über viele Jahre für viele noch ein Traum bleiben, solange die in Deutschland herrschende Präsenzkultur herrscht. Unabhängig vom Journalismus kann ich in jedem Unternehmen von 9 bis 17 Uhr unproduktiv rumsitzen. Viele Arbeitgeber befürchten wohl den Kontrollverlust, wenn ihre Angestellten außer Sichtweite sind.
Ich glaube aber, dass Menschen produktiver sind, wenn sie ihre Arbeitsumgebung selbst aussuchen können. Dank Online haben wir doch alle Möglichkeiten dazu. Klar, eine Pressekonferenz muss vor Ort besucht werden. Lokaltermine müssen wahrgenommen werden. Recherche, schreiben, redigieren, (Web-)Seiten bauen – kann ich jedoch von einem beliebigen erledigen. Wir haben heute dank vieler technischer Entwicklungen eine große Freiheit – und nutzen sie doch kaum. Es muss auch nicht jeder gleich seinem Großraumbüro für immer Lebewohl sagen. Aber warum nicht es zumindest mal versuchen? Dem Chef ein Experiment anbieten: Ich arbeite einen Tag mal woanders und danach schauen wir, wie das gelaufen ist. Was hat man zu verlieren? Im schlimmsten Fall einen Arbeitstag. Den kriegt man immer wieder aufgeholt, zur Not im Großraumbüro.
Auf der anderen Seite kann man so viel gewinnen: persönliche Freiheit und die Erkenntnis, dass es funktioniert. Über den AutorTimo Stoppacher, Jahrgang 1983, hat Technikjournalismus studiert und ist als freier Journalist, Buchautor und Dozent in Köln selbständig. Seine Themen sind IT (Smartphones, Internet etc.) sowie Energie- und Kunststofftechnik. Er hat mehrere Bücher und E-Books zu Smartphones verfasst und zum Teil selbst publiziert. Er bloggt u.a. auf www.fitfuerjournalismus.de.