Musk in der Welt
Die Sache mit der Gastfreundschaft
Corpus Delicti: Keiner will's gewesen sein. Foto: Imago Wolfgang Maria Weber
Die "Welt am Sonntag" hat bei Elon Musk einen Gastkommentar bestellt und mal wieder erfahren: Wo Populismus draufsteht, ist Populismus drin. Verantwortlich war für das Erscheinen redaktionell aber offenbar niemand, wundert sich DVJ-Bundesvorstand Philipp Blanke.
Alle Jahre wieder befassen sich Ratgeberstücke mit der Frage, wie man es zu Weihnachten, dem Fest der Nächstenliebe und der Gastlichkeit, mit der Gastfreundschaft halten muss. Wieviel muss ich als Gastgeber dem erlauchten Gast durchgehen lassen? Was ist großzügig und ab wann wird meine Gastfreundschaft missbraucht? Bei Festlichkeiten ist an solchen Stellen besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Im medialen Betrieb beim Umgang mit Gastautoren braucht es noch viel mehr Diplomatie, Takt- oder Fingerspitzengefühl. Nun ist Fingerspitzengefühl nie das Wort der Wahl gewesen, um redaktionelle Abläufe oder das Gebaren in der Axel-Springer-Mediengruppe zu bezeichnen. Was sich am Wochenende zugetragen ist, ist jedoch auch für dieses große Haus ein Novum.
In Kürze: Jemand – wer genau, ist gerade nicht klar und schon das ist auffällig – kam auf die Idee, bei Elon Musk einen Gastbeitrag zu bestellen, in welchem er sein Faible für die AfD begründen und erläutern sollte. Wie das zumeist gut informierte Portal Medieninsider berichtet, soll "Welt"-Chefredakteurin Jennifer Wilton die treibende Kraft dahinter gewesen sein. Dazu später mehr. Der Gastbeitrag von Musk erschien und schon warf die Medien- und Polit-Bubble auch jenseits der Hauptstadt Blasen. Die Alternative für Deutschland (AfD) sei der letzte Funke Hoffnung für dieses Land, schreibt Musk. Nur sie sei dem "politischen Realismus" verpflichtet. Und weiter heißt es: "Die Darstellung der AfD als rechtsextrem ist eindeutig falsch, wenn man bedenkt, dass Alice Weidel, die Vorsitzende der Partei, eine gleichgeschlechtliche Partnerin aus Sri Lanka hat! Klingt das für Sie nach Hitler?" Wenn man sowas liest, braucht man anschließend schonmal einen Drink.
Wie Medieninsider und andere berichten, führte der Gastbeitrag innerhalb der "Welt"-Redaktion zu ziemlichem Ärger. Die Redaktion, die den Gastbeitrag bestellt hatte, fühlte sich mit ihrer Bestellung so unwohl, dass der Artikel kaum gedruckt beziehungsweise online publiziert war, als schon die Mehrheit der Redakteurinnen und Redakteure begann, sich von dem Stück zu distanzieren und das Erscheinen zu kritisieren.
Musks Beitrag war zwar, gewissermaßen als Blitzableiter, eine Gegenrede des designierten "Welt"-Chefredakteurs Jan Philipp Burgard gegenübergestellt worden. Online lassen sich Musks Propagandarede und Burgards Antwort darauf auch nur gemeinsam aufrufen. Der eine Inhalt sollte nicht ohne den anderen aus der "Welt" in die Welt.
Intern distanzierten sich von dem Artikel oder kritisierten dessen Erscheinen laut Medieninsider folgende Redaktionsmitglieder: Investigativ-Chef Tim Röhn, der designierte Politik-Chef Klaus Geiger, Meinungs-Chefin Eva Marie Kogel (die nach Andruck sogar ihren Posten kündigte und im Impressum der Ausgabe nicht einmal mehr als V.iS.d.P gelistet werden wollte), der stellvertretende Chefredakteur Robin Alexander. Nicht einmal der hauseigene bald in den Herausgeber-Himmel auffahrende "Welt"-Dreschflegel in Chief Ulf Poschardt stand hinter dem Gastbeitrag. Laut Medieninsider soll auch er sich inhaltlich und organisatorisch von dem Beitrag distanziert haben. Auch der Redaktionsausschuss der "Welt" sprach sich mehrfach dagegen aus. Medieninsider berichtet von einer Unterschriftenliste mit mehr als 40 Namen.
Wie viele Redakteurinnen und Redakteure in teils höchster Stellung braucht es bei Springer, um das Erscheinen eines Artikels zu verhindern? Hier reichte es offenbar nicht. Chefredakteurin Wilton habe den Artikel gewünscht und organisiert, heißt es.
Aber ist das plausibel? Bestellt die Chefin einer deutschen Medienmarke mit knapp 90.000 verkauften Exemplaren (laut Statista) einen Gastartikel beim zweitreichsten Mann der Welt und Trump-Intimus Elon Musk? Unwahrscheinlich. Ein anderer Name erscheint da wahrscheinlicher. Mathias Döpfner, Chef von Axel Springer. Er und Musk kennen sich nicht nur persönlich. Musk wurde von Döpfner mit Preisen bedacht, war auf dessen 60. Geburtstag im italienischen Lucca. Außerdem riet Döpfner Musk nicht nur zum Kauf von Twitter, unmittelbar nach erfolgtem Kauf wandte sich der Springer-Chef auch an Musk mit den Worten: "Gratulation zum Twitter-Investment. (...) Sollen wir diskutieren, ob wir bei dem Projekt mitmachen sollten?" Döpfners Draht zu Musk war also in jedem Fall kürzer als der von "Welt"-Chefredakteurin Wilton. Und dass Döpfner gerne die politische Linie seiner Marken vorgibt, ist nicht erst bekannt, seit er 2021 den damaligen Bild-Chef Julian Reichelt bat, die FDP mittels Berichterstattung zu stärken. Warum also Wilton? Wird hier ein Bauernopfer vorbereitet? Die Stimmung innerhalb der "Welt"-Gruppe ist zum Jahresende mindestens aufgeheizt.
Bleibt die Frage: Was hätte man tun sollen mit Musks bestelltem Gastkommentar? Die Antwort ist einfach: nichts. Denn das Schöne an der Pressefreiheit ist ja auch, dass eine Redaktion einen Text nicht veröffentlichen muss, selbst wenn sie ihn bestellt hat. Niemand ist gezwungen, im Restaurant das bestellte Gericht zu verzehren, wenn ihm der Teller hingestellt wird und man beim Anblick schon das Gesicht verzieht. Und genauso hätte auch die "Welt" Musks Wahlwerbung in der Schublade lassen können, Gastbeitrag hin oder her. Ein Gastgeber muss einem Gast nicht alles durchgehen lassen.
Wäre Musk aufgebracht gewesen, wenn sein Artikel nicht erschienen wäre? Hätte er es überhaupt gemerkt? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Fakt ist: Ein Mann, der dem baldigen US-Präsidenten nahesteht und einflüstert und 208 Millionen Follower auf X hat, ist nicht auf die Springer-Medien angewiesen, um Öffentlichkeit herzustellen und seine Ideen zu verbreiten. Wie egal Musk Deutschland ist, zeigt sein Unwissen und seine Ignoranz über das Land, seine Historie, die europäischen Verpflichtungen sowie die Unkenntnis über das politische System. Musk geht, wenn man seine letzten Äußerungen bei X liest, offenbar davon aus, dass der Bundespräsident vom Volk gewählt wird. Sein Artikel, so postete er, sei in der "Weld" erschienen. Mehr Geringschätzung für eine Sache geht eigentlich nicht. Ein Gastgeber muss einen Gast nicht ertragen, er könnte auch sein Hausrecht ausüben und ihn vor die Tür setzen. Dass die ganze Redaktionsstärke der "Welt" nicht ausreichte, den Propaganda-Text zu verhindern, den offenbar niemand wollte, ist bedrückend.
Der Axel Springer-Konzern meldete sich lediglich mit einem gemeinsamen Statement des noch aktuellen "Welt"-Gruppe-Chefredakteurs Ulf Poschardt und seines Nachfolgers Jan Philipp Burgard: "Die aktuelle Diskussion um den Text von Elon Musk ist sehr aufschlussreich. Demokratie und Journalismus leben von Meinungsfreiheit." Loriot würde weihnachtlich passend sagen: "Ach was?" Dazu gehöre es, sich auch mit polarisierenden Positionen auseinanderzusetzen und diese journalistisch einzuordnen. "Das wird auch künftig den Kompass der 'Welt' bestimmen. Wir werden 'Die Welt' noch entschiedener als Forum für solche Debatten entwickeln."
"Noch entschiedener" bedeutet wohl nur noch mehr "solche Debatten". Ist das ein Versprechen? Ist es eine Drohung? In Aussicht darauf brauche ich einen Drink. Prosit Neujahr!
Ein Kommentar von Philipp Blanke