Glosse mit Maske (V)
Die Medien zahlen nur noch Coronare - statt Honorare!
Als ich kürzlich wieder einmal am frühen Morgen den Kurfürstendamm entlangbummelte, um mich wie stets gegen 11 Uhr im Reinhard´s mit einigen Blättern zur Medienanalyse zu setzen, machte es plötzlich einen Riesenknall hinter mir. Ich blickte mich um und sah, wie ein Bauzaun auf die Promenade gefallen war und sich immer noch etwas an der Gebäudewand bewegte.
Als routinierter Allrounder und Mehrfachverwerter hatte ich natürlich meine Kamera dabei (Marke Zenit, einige sagen dazu Kult, ich sage: Stil) und begann sofort zu filmen.
Krach, machte es, dann Schreie, Sirenen, und so weiter. Ein Arbeitsunfall der spektakulären Art, vollkommen medientauglich für das Abendprogramm, Sie wissen schon.
Das Reinhard´s wurde also erst einmal zu meinem Vertriebsbüro. Schnell das Video per LTE auf die PicDrop-Datenbank im Netz gespult, dann paar Mails an meine üblichen Kontakte in den Medien, und sicherheitshalber ein Telefonat mit der Rundfunkanstalt meines Vertrauens.
Am Telefon erwischte ich Andreas, den Redaktionsleiter der News.
„Andreas“, meinte ich gönnerhaft, ganz im Bewusstsein meines schönes Nachrichtenfangs, „hast Du Dir mein Blaulicht schon angeschaut?“
„Alexander!“ rief Andreas, „es ist fantastisch. So gut, dass ich fast fürchte, Du hättest das alles inszeniert oder selbst einige Schrauben am Gebäude vor der Aufnahme gelöst! Jetzt, wo doch die Lage für Euch Freie so schwer ist, ich habe doch gehört, Eure Umsätze sind bei null!“
Bingo, sagte ich mir innerlich, der Fisch hat angebissen! „Andreas, Du weißt, ich bin eigentlich eher Kultur-Reporter, aber zur wirtschaftlichen Absicherung bin ich immer Allrounder geblieben. Nur so überlebt man als freier Journalist Krisenzeiten. Also, um es kurz zu machen, was ist als Honorar drin?“
„Honorar? Alexander, Du überrascht mich. Das ist eine kniffelige Frage. Also erst mal muss ich natürlich schauen, ob nicht auch die Polizei, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz oder irgendein Bürger ein Filmchen gedreht haben…“
„Andreas“, unterbrach ich ihn, „niemand hat es live wie ich im Kasten, das kann ich Dir garantieren. Morgens um die Uhrzeit ist doch kein vernünftiger Mensch auf dem Kudamm, und ein Live bekommst Du von den Rettungsdiensten und der Polizei auch nicht, die kamen ja erst danach!“
„Nun gut, Alexander“, knurrte es am anderen Ende der Leitung, „Du hast recht, wir nehmen Dein Video. Aber Honorar zahlen, das geht wirklich nicht, wir sind doch in Corona-Zeiten!“
Bei mir erwachte ein Gefühl des Misstrauens. War das noch Spaß? Sehr zynisch, in jedem Fall!
„Andreas“, brummte ich zurück, „sehr lustig, aber wie auch immer, dann mach den Regelsatz, aber eigentlich ist das mehr wert!“
„Alexander, ich sag es mal so: wir senden es gegen Urhebernennung. Dein Name in unserem Programm, das ist Gold wert!“
„Gold wert, weil mir dann andere Rundfunkanstalten die Bude einrennen, die auch nichts zahlen wollen wie Du?“
„Können, Alexander. Wir sind also im Boot, danke!“ Und legte auf.
Am Abend wurde mein Video in voller Länge in den Nachrichten gesendet, was für ein Erfolg! Auch mein Name war im Abspann. In meinem grenzenlosen Grundvertrauen wartete ich also den Eingang des Honorars ab, das irgendwo um die 800 Euro liegen müsste, so meine Schätzung.
Es kam nichts. Ganze sechs Wochen kam nichts. Langsam reichte es mir und ich rief beim Sender an. Vorsorglich erst einmal in der Abrechnung.
„Herr Blog, uns liegt für die Coronar-Abrechnung kein Vorgang vor. Wir haben schon alles von diesem Sende-Tag abgerechnet, also nicht gezahlt!“
Ich glaubte mich verhört zu haben, die Dame hatte sicherlich Honorar-Abrechnung gemeint und sich auch sonst irgendwie versprochen. Jetzt hieß es also doch in der Redaktion anrufen.
Gleich hatte ich Andreas am Telefon.
„Andreas, mein Honorar ist nicht gekommen“, begann ich ohne Umschweife das Telefonat. „Was ist bei Euch los?“
„Aber Alexander, das hatte ich Dir doch schon bei der Abnahme gesagt. Wir zahlen keine Honorare mehr. Jetzt gibt es nur noch Coronare!“
„Coronare? Was soll das für ein Quatsch sein?“
„Das ist ein befristeter Zahlungsmodus unserer Rundfunkanstalt. Wir bezahlen also im Prinzip... - nichts. Du hast doch auch schon davon gehört, dass es wegen Corona ein Moratorium bei Mieten und Darlehensverträgen gibt.“
„Ich bin aber kein reicher Vermieter und auch keine Bank!“
„Alexander! Wir als Rundfunkanstalt dürfen auch von unseren Autoren Solidarität erwarten. Wir sind durch Corona auch ziemlich betroffen und müssen sehen, dass wir das Geld, das wir in den News und den Gesundheitsprogrammen jetzt mehr für Berichterstattung sowie Schutzkleidung ausgeben, an anderer Stelle einsparen. Jeder muss Solidarität zeigen!“
„Und wovon soll ich leben, Andreas? Von der Urhebernennung alleine geht das schlecht!“
Andreas schwieg einen Moment. Dann bellte er in die Leitung: „Das ist eine vollkommen interessante Frage, Alexander. Da solltest Du mal ein Feature rüber machen! Das würde ich sogar senden!“
Ich war baff. „Aber für dieses Feature zahlt Ihr mir dann hoffentlich mal Honorar, oder?“
„Coronare zahlen wir, Alexander!“
„Du meinst also: nichts?“
„Die Urhebernennung, das ist doch mehr als nichts!“, rief Andreas.
Ich legte auf. Es hatte keinen Sinn, ich musste umdenken!
Ich musste mir klarmachen, dass die Zeiten sich geändert haben.
Ich bin von einer Honorarkraft zu einer Coronarkraft geworden.
Ich muss statt Honorarvorstellungen Coronarvorstellungen haben.
Ich brauche ein neues Coronarmodell statt meinem bisherigen Honorarmodell.
Ich werde statt Honorarforderungen Coronarforderungen haben.
Ich werde mit meinen Auftraggebern Coronarverträge statt Honorarverträge abschließen.
Ich werde nur noch einen Coronarumsatz und keinen Honorarumsatz mehr haben.
Die Honorargrundlagen sind entfallen, wir haben nur noch Coronargrundlagen.
Der totale Honorarausfall.
Oder sagen wir korrekterweise: Conorarausfall.
Ihr Alexander A. Blog