Propaganda contra Journalismus
Die Macht der Bilder
Um eine Dokumentation über die Corona-Geburtsstätte Wuhan, die am kommenden Montag im Ersten ausgestrahlt werden soll, gibt es schon jetzt heftige Auseinandersetzungen. Darf eine ARD-Anstalt eine journalistische Dokumentation mit Propagandamaterial bestücken?
"Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" heißt der Beitrag, der am 15. Juni in der Reihe "Story im Ersten" laufen soll. Der Titel verspricht Einblicke in die Metropole, nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt war, aus der bald nur noch die Informationen nach außen gelangten, die vom chinesischen Propagandaapparat produziert wurden. Handyvideos, die anfangs einen Eindruck von zum Teil chaotischen Zuständen in Wuhan vermittelten, verschwanden ebenso wie deren Urheber. Chinas Offizielle hatten zwar nicht Corona, wohl aber die Kommunikation darüber fest im Griff.
Eine Reportage über Wuhan kann keine Bilder liefern, die von unabhängigen Journalisten gefilmt wurden, weil es dieses Material nicht gibt. Dafür konnte die Produktionsfirma, die den Beitrag für den SWR gedreht hat, auf eine große Menge an Bildern und O-Tönen des China Intercontinental Communication Center (CICC) zurückgreifen. Die chinesische Propagandabehörde war Kooperationspartner der deutschen Produktionsfirma. In der Story tauchen demnach nur solche Bilder auf, die den Pekinger Zensoren genehm sind.
Ist das mit den Qualitätsmaßstäben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vereinbar? Darüber diskutieren seit Tagen Medienjournalisten. Die taz hat sich kritisch mit dem Thema beschäftigt, nachdem die Süddeutsche Zeitung ausführlich den Boden bereitete. Klar ist: Wie genau der Beitrag aussieht und wie ausführlich thematisiert wird, dass chinesisches Propagandamaterial gezeigt wird, weiß jetzt noch niemand. Spätestens nach der Sendung wird das ein Thema sein.
Über "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs" hinaus muss die Frage beantwortet werden, ob im Zweifel nicht auf ein Stück verzichtet werden sollte, das kritische und unabhängige Recherchen zur Randerscheinung macht.Ein Kommentar von Hendrik Zörner