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Wirecard

Die Jagd des weißen Wals

03.02.2021

Dan McCrum: unerschrockener Aufklärer. Foto: Newsroom.de

Wirecard hat jahrelang den Journalisten Dan McCrum bespitzelt, bedroht und verleumdet. Wie perfide der Skandal-Konzern dabei vorging haben Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR aufgedeckt.

Es war vielleicht die journalistische Glanzleistung des Jahrzehnts – fast im Alleingang. Dan McCrum, Finanzjournalist bei der "Financial Times" in London, brachte Wirecard am Ende doch noch zu Fall. Aber bevor das Unternehmen Ende Juni 2020 Insolvenz anmeldete, hatte es laut Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR über Jahre hinweg anscheinend hohe Summen an Detekteien, PR-Berater, Sicherheitsfirmen und Kanzleien gezahlt, um sich Kritiker vom Hals zu schaffen – vor allem Dan McCrum. Das geht aus den Hunderttausenden E-Mails des Wirecard-Vorstands, Messenger-Chats und Rechnungen hervor, welche die Journalist*innen ausgewertet haben.

Die Süddeutsche berichtet, intern habe man bei der Financial Times von Wirecard als Projekt „Ahab“ gesprochen, nach dem Kapitän in Herman Melvilles Roman „Moby Dick“, der völlig besessen davon ist, den weißen Wal zu jagen und zu erlegen. „Wirecard“, so Dan McCrum in der SZ, „war unser weißer Wal." Aber der weiße Wal drehte den Spieß auch um und jagte Journalisten, um die Berichterstattung über die kriminellen Machenschaften zu verhindern. Am liebsten hätte man sogar noch zu drastischeren Mitteln gegriffen. Die SZ zitiert aus den E-Mails: „‚Journalisten-Termin‘, schrieb Vorstand Jan Marsalek. Ob er den Reporter schmiere, fragte eine Mitarbeiterin. Mit ‚9-mm-Kugeln‘, antwortete Marsalek.“

Die Behörden verdächtigten trotz, bzw. gerade wegen seiner Berichterstattung statt dem Wirecard-Vorstand ebenfalls Dan McCrum. Die für die Finanzaufsicht zuständige Bafin zeigte ihn sogar wegen angeblicher Marktmanipulationen an.

Dieses Verfahren wurde mittlerweile immerhin eingestellt. Dan McCrum bekam viele wichtige deutsche Journalisten-Preise verliehen, wurde gar für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Sein Fall zeigt deutlich, wie wertvoll, aber auch wie gefährdet die Pressefreiheit ist. Umso ernster muss der Schutz von Journalist*innen und Whistleblowern genommen werden. Dass die Europäische Whistleblower-Richtlinie immer noch nicht in deutsches Recht umgesetzt wurde, ist im Lichte dessen absolut unverständlich. Hier muss vor allem Bundesfinanzminister Olaf Scholz nach allen Lippenbekenntnissen zum Fall Wirecard endlich liefern.

Dan McCrum nimmt die ganze Geschichte heute offensichtlich gelassen: „Ich habe meinen Job gemacht“, sagt er der Süddeutschen Zeitung. „Nicht mehr und nicht weniger.“
 

Ein Kommentar von Paul Eschenhagen

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