Hass im Netz
Desinformation tötet
Immer mehr Hass, Hetze und Desinformation im Netz — mit bisweilen tödlichen Auswirkungen, wie der Fall einer Ärztin aus Österreich zeigt Dr. Lisa Maria Kellermayr hat wohl wegen Anfeindungen von Querdenkern und Impfgegnern Suizid begangen.
Ein krasser Fall, doch auch ohne tödliche Auswirkungen lässt die digitale Hetzjagd immer häufiger kritische Stimmen verstummen. Auf Twitter wird künftig etwa die des bekannten Würzburger Anwalts Chan-jo Jun nicht mehr zu hören sein. Seit der Corona-Pandemie war Jun zu einem prominenten Aufklärer von Verschwörungsmythen geworden, entlarvte rechtliche Querdenken-Argumentationen in seinen Beiträgen als "Quatschjura". Doch nun zieht Jun die Reißleine. Sein Twitter-Profil hat der Jurist gelöscht.
Zuvor hatte sich der tragische Fall in Oberösterreich ereignet: Dr. Lisa Maria Kellermayr ist nach Hass- und Morddrohungen von Impfgegnern und Querdenkern tot in ihrer Praxis gefunden worden. Die Behörden gehen von Suizid aus, es wurden Abschiedsbriefe gefunden - in einem wirft sie der Polizei Versagen vor. Ihr tragischer Tod aber wirkt nach: Von Desinformations-Aktivisten, Putin-Verstehern und Querdenkern wird er derzeit propagandistisch ausgeschlachtet. Der Fall wirkt bis nach Deutschland.
Jun hatte zuletzt noch Behauptungen widerlegt, das Lied "Layla" sei verboten worden. Unter anderm Musikproduzent Ikke Hüftgold hatte von "Zensur" gefaselt. Doch nun wird auch dem streitbaren Juristen das Engagement auf Twitter zu heiß. In seinem zunächst letzten Tweet den Rückzug von der Plattform: "Engagement und Aufklärung führten für Dr. Lisa Maria zu Hass, Bedrohungen, Ruin und mutmaßlich zum Tod, der auf Telegram von Querdenkern als Sieg gefeiert wird." Weiter schreibt der Würzburger: "Wir haben Hass und SLAPP nichts entgegenzusetzen. Ich mag nicht mehr und deaktiviere meinen Account."
Der DJV kämpft schon seit geraumer Zeit gegen SLAPP - missbräuchliche Klagen, mit denen auch Journalist:innen mundtot gemacht werden sollen, kritische Recherchen verhindert werden sollen. Schlimm, dass nun ausgerechnet ein engagierter Jurist die Reißleine zieht. Immerhin, dem DLF sagt Jun, dass er seinen Kampf gegen "Hass, Hetz und Falschinformation" nicht aufgeben werde. Allerdings sei "Twitter ein Schlachtfeld geworden, auf dem die Idee der sachlich-neutralen Aufklärung" nicht funktioniere.
Jun hat recht - die Organisation "Hate Aid", die gegen digitale Gewalt kämpft, fordert von den Twitter-Verantwortlichen: "Macht euren Job und schützt die Betroffenen." Die Plattform, die mit ihren Nutzern Geld macht, muss diese auch schützen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut - aber Menschenfeindlichkeit ist keine Meinung, Menschen müssen vor potenziell tödlichen Drohungen geschützt werden, damit ein ernstgemeinter Raum für Debatten überhaupt entstehen kann. Jun führt sein Engagement auf Twitter zunächst nicht mehr fort - hoffentlich bleiben trotz mangelhaften Schutzes von Behörden und Plattformbetreibern noch etliche Engagierte, die weiter für Aufklärung und gegen Desinformation kämpfen. Denn dem Verschwörungs-Mob und selbsternannten Querdenkern unwidersprochen diese Plattform zu überlassen, wäre ein fatales Signal an die Gesellschaft.
Ein Kommentar von Mika Beuster