Mitglied werden
Login Logout Mitglied werden
Warenkorb

Merkurist

Der heiße Scheiß aus Mainz

28.09.2017

Über kaum ein journalistisches Startup wird derzeit so viel geredet wie über “Merkurist”. Geschäftsführer Manuel Conrad (@manco84) hat beim Panel dann auch alle Hände voll zu tun, auf Fragen und Kritiker einzugehen.

 

 

So innovativ ist es auf den ersten Blick gar nicht, was Merkurist macht. Die Online-Zeitung fordert ihre Leser auf, Themenvorschläge einzureichen und lässt dann die Leserschaft darüber abstimmen, ob diese “Snips” recherchiert werden sollen. Ein Beispiel: Ich komme beim Spaziergang an einem leerstehenden Gebäude vorbei und frage mich, was damit passieren wird; ich mache ein Foto davon und stelle den Snip ein - und wenn es auch genug andere Leser interessiert, wird die Geschichte bald im Merkurist aufgelöst.


Das führt zu einer starken Community mit einer hohen Bindung zum Produkt - “und einige meiner besten Mitarbeiter bezahle ich nicht”, sagt Conrad, denn zu der Recherche tragen die Leser häufig hilfreiche Fakten, Bilder und Dokumente bei.


Merkurist will genau wissen, wie weit der Nutzer gelesen hat

Interessant ist allerdings, wie konsequent und radikal das Unternehmen den Ansatz weiterdenkt, dass der Leser selbst entscheiden soll, was ihn interessiert. Das hat zu der “Oculus Reading”-Techologie geführt, auf die Conrad sichtbar stolz ist: “Wir wissen was gelesen wird, satzgenau”. Über Nutzerdaten wie dem Scroll-Verhalten, dem Viewport oder Tastatureingaben fragt die Merkurist-Webseite ab, wie weit der Text gelesen wird. Das ermöglicht es etwa, einen Absatz zu identifizieren, bei dem die Leser aus der Lektüre aussteigen - das System kann den Autoren dann auffordern, an dieser Stelle noch mal nachzubessern. “Wir verwenden auch A/B-Testing”, ergänzt Conrad und meint damit, dass den Lesern nach dem Zufallsprinzip zwei unterschiedliche Textvarianten ausgespielt werden. Die Variante, die die Mehrheit der Nutzer weiterlesen lässt, setzt sich dann durch.Sogar in der Finanzierung durch Werbung wird diese Idee weiter verfolgt. Nicht nur über Bannerwerbung und Native Ads möchte Conrad Geld einnehmen, sondern auch über das von ihm erfundene “Question Marketing”. Das Prinzip ist einfach: “Anstatt dem Nutzer zu sagen ‘Geh auf die Rheinland-Pfalz-Ausstellung’ fragt die Website ihn, ob er schon mal auf dieser Ausstellung war.”, erklärt Conrad. Wenn der Nutzer auf “Nein” klickt, kann er mit einem Rabatt gelockt werden, wenn er auf “Ja” geht, kann ihm das System zum Beispiel etwas über die diesjährigen Stände der Ausstellung mitteilen. “Fragen erzeugen Druck auf der anderen Seite”, sagt Conrad. Tatsächlich habe das Question Marketing die Click-Through-Rate deutlich gesteigert:  Von 0,5 Prozent mit einem herkömmlichen Werbebanner auf 4 Prozent mit der Frage.


Conrad hat große Expansionspläne

Es ist eine Besonderheit von Merkurist, dass die Firma sehr stark auf eigene Software setzt. Dazu zählt nicht nur das Content-Management-System mit der “Oculus Reading”-Technologie: “Wir haben auch ein eigenes Ad-Management-System”, sagt Conrad. Auf diese Weise macht sich Merkurist unabhängiger von Google.

Conrads Pläne sind groß. Denn er glaubt, dass Merkurist nicht nur in Mainz funktionieren würde. Wiesbaden und Frankfurt waren die ersten Stationen der Expansion, aber es soll noch weitergehen: “In 2020 soll es unsere ‘Newsroom’-Software in jeder deutschen Stadt geben”, hofft Conrad für die Zukunft. Dabei könnten Verlage Lizenzpartner sein, aber auch Unternehmen anderer Branchen oder sogar freie Journalisten.

Kritische Fragen aus dem Publikum Ganz ohne Störgeräusche wird das aber sicher nicht ablaufen. Beim Panel kritisiert ein Teilnehmer, dass Merkurist vor der Bundestagswahl fast ausschließlich AfD-Werbung ausgespielt habe. Andere schütteln den Kopf als klar wird, dass die Leser - ohne Bezahlung - am Produkt mitarbeiten. Es wird getuschelt, ob der Leser eigentlich wisse, dass Merkurist die Daten über sein Leseverhalten erfasse. Und als Conrad sein Question Marketing vorstellt, wirkt er kurz überrumpelt, als aus dem Publikum die Frage kommt, ob er diese Anzeigen denn auch als solche kennzeichne.

Das Interesse an Merkurist ist jedenfalls enorm bei der “Besser Online”-Tagung - und es scheint fast sicher, dass das junge Unternehmen auch in Zukunft viel Staub in der Branche aufwirbeln wird.

Text von Kilian Haller
Online-Journalismus Social Media Start-ups

Weitere Artikel im DJV-Blog

Charlotte Merz
Charlotte Merz

15.05.2024

Die Richterin und das Grundrecht Pressefreiheit

Mit ihrem resoluten Vorgehen gegen einen ZDF-Reporter offenbart Richterin Charlotte Merz ein fragwürdiges Verhältnis zum Grundrecht der Pressefreiheit.

Mehr
STREIK BEIM WDR
STREIK BEIM WDR

07.05.2024

Gier auf Kosten der Freien

Dass Medienunternehmen in Tarifverhandlungen knauserig sind, ist nicht neu. Dass manche von ihnen erst durch Arbeitskämpfe zu besseren Angeboten zu bewegen sind, auch nicht. Dass aber die Honorare der …

Mehr
RAI
RAI

06.05.2024

Legt die Arbeit nieder

Beim italienischen Fernsehsender RAI wird heute gestreikt. Nicht für mehr Geld oder neue Tarifverträge, sondern gegen die Einmischungen der Regierung in die Programminhalte.

Mehr
ITALIEN
ITALIEN

26.04.2024

Hände weg von der RAI

Die Versuche der politischen Einflussnahme durch die Regierung Meloni auf den Rundfunksender RAI nehmen zu. Anfang Mai soll es deshalb einen Streik geben.

Mehr
MEDIENKRITIK
MEDIENKRITIK

25.04.2024

Til Schweiger überzieht

Im Interview mit der Zeit übt Schauspieler und Regisseur Til Schweiger heftige Kritik an einigen Medien. Das kann nach der Berichterstattung über ihn nicht verwundern. Aber bei Kritik belässt er es ni …

Mehr
WDR-RUNDFUNKRAT
WDR-RUNDFUNKRAT

24.04.2024

Zeichen gesetzt

Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks fordert von dem Sender rechtliche Schritte, wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags von der Politik nicht zügig beschlossen wird.

Mehr
JOURNALISTEN
JOURNALISTEN

22.04.2024

Wir sind kein Klischee

Warum nur geraten Journalisten im Spielfilm so gnadenlos daneben? Weil die Drehbuchschreiber keine Ahnung vom Journalismus haben? Oder weil sich das Klischee besser verkauft als die Wirklichkeit?

Mehr
URLAUBSENTGELT
URLAUBSENTGELT

19.04.2024

Freie, aufgepasst!

Freie beim Deutschlandradio haben Anspruch darauf, dass Wiederholungshonorare für die Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurt …

Mehr
TARIFKONFLIKT
TARIFKONFLIKT

17.04.2024

Hoch zu Ross

750 Beschäftigte des Westdeutschen Rundfunks hatten gestern die Nase voll und beteiligten sich am Warnstreik der Gewerkschaften. Bestätigt wurden sie von den Verhandlern der Gegenseite.

Mehr
PROSIEBENSAT.1
PROSIEBENSAT.1

16.04.2024

Berlusconi ante portas

Droht der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 von Hauptaktionär Media for Europe übernommen zu werden? Die Medienaufsicht sollte ihren Blick schärfen.

Mehr
FERNSEHNACHRICHTEN
FERNSEHNACHRICHTEN

15.04.2024

Angekündigte Katastrophe

Mehrere Stunden lang flogen iranische Drohnen Richtung Israel. Stunden, in denen die Öffentlich-Rechtlichen ihr Programm hätten umkrempeln können. Doch bis zu Sondersendungen in ARD und ZDF vergingen  …

Mehr
SWMH
SWMH

11.04.2024

Tröpfchen-Kommunikation

Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der die Süddeutsche Zeitung gehört, tut sich schwer mit klaren und umfassenden Fakten zum geplanten Stellenabbau bei der SZ.

Mehr
ÜBERGRIFFE
ÜBERGRIFFE

09.04.2024

Nicht mehr so schlimm?

Laut Reporter ohne Grenzen ist die Zahl der Übergriffe auf Journalisten 2023 gegenüber dem Vorjahr stark gesunken. Grund zur Entwarnung? Eher nicht.

Mehr
HÖCKE-INTERVIEWS
HÖCKE-INTERVIEWS

08.04.2024

Mit Präzision begegnen

Wie lassen sich Interviews mit Thüringens AfD-Politiker Björn Höcke führen? Sollten sie überhaupt geführt werden? Damit hat sich die Süddeutsche Zeitung in einem lesenswerten Bericht auseinandergesetz …

Mehr
FÖDERL-SCHMID
FÖDERL-SCHMID

05.04.2024

Hexenjagd geht weiter

Die Universität Salzburg bescheinigt der stellvertretenden SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten". Sie darf ihren Doktortitel behalten. Das sieht …

Mehr
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST

04.04.2024

Nah am Rand

Über das "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" sind die notorischen Medienhasser in den Social Media aus dem Häuschen. Bei aller berechtigten Kritik an den Öffentli …

Mehr
KÖLNER STADT-ANZEIGER
KÖLNER STADT-ANZEIGER

03.04.2024

Vermarkter am Ruder

Die Online-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers soll der digitalen Produktentwicklung unterstellt werden und angeblich redaktionell unabhängig bleiben. Zweifel sind angebracht.

Mehr
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

28.03.2024

Die Leser sind nicht blöd

Zeitungsleser wollen für Inhalte, die mit KI erzeugt werden, weniger bezahlen. Das ergab eine Umfrage. Eigentlich eine klare Aussage - wären da nicht Marketingexperten, die Morgenluft wittern.

Mehr
VOICES FESTIVAL
VOICES FESTIVAL

27.03.2024

Journalismus trifft Medienkompetenz

Nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, fand DJV-Vorstandsmitglied Ute Korinth in Florenz heraus.

Mehr
TELEGRAM
TELEGRAM

26.03.2024

Schluss mit lustig

Ein spanisches Gericht hat den Messengerdienst Telegram in dem Land abgeschaltet. Grund sind Verstöße gegen das Urheberrecht.

Mehr