EU - Türkei
Chance vertan
Was reitet eigentlich die Spitzen der Europäischen Union, den türkischen Autokraten zu besuchen? Sind die Menschenrechte zur rhetorischen Beilage von Sonntagsreden verkommen?
Es waren keine Referatsleiter oder Kanzleichefs der Brüsseler Europa-Bürokratie, die gestern Recep Tayyip Erdogan besuchten und für hübsche Fernsehbilder sorgten, sondern die beiden höchsten Repräsentanten der Europäischen Union: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel waren in Ankara zu Gast, um mit Recep Tayyip Erdogan zu plauschen. Angeblich seien auch die Menschenrechte angesprochen worden, hieß es nach dem Treffen. Aber wohl nur am Rande.
Der türkische Präsident vermied es, mit von der Leyen und Michael gemeinsam vor die Presse zu treten. Da hätte es ja kritischen Fragen geben können, die seine Gäste ihm offenbar nicht gestellt haben. Etwa nach der Lage der inhaftierten Journalisten, nach der Situation der Frauen in unglücklichen Ehen oder nach den Chancen von Oppositionsparteien nach freier politischer Entfaltung. Stattdessen ließen sich die drei beim Shakehands filmen und darüber schwadronieren, dass auf die politische Eiszeit der letzten Jahre jetzt eine Tauperiode folgen solle.
Ursula von der Leyen übertrifft in Sachen Grundrechte sogar noch ihren bräsigen Vorvorgänger José Manuel Barroso, der die Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn verschlafen hat. Die amtierende Kommissionspräsidentin verschläft nicht etwas, sondern sie lächelt es ignorant weg. Das ist viel schlimmer.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner