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Scheinselbständigkeit

Bundesregierung beschließt Regelungen, die nichts bringen

11.05.2016

Gesetzgebung für freie Mitarbeiter bedeutungslos

Die Bundesregierung hat sich nach langen internen Diskussionen auf einen Gesetzentwurf zum Thema Leiharbeit und Werkverträge geeinigt. Auch wenn es in Deutschland noch ein Parlament gibt, das in solchen Fragen letztlich die Entscheidung hat, muss nicht damit gerechnet werden, dass der zuständige Ausschuss des Bundestags oder das Parlamentsplenum hier noch etwas ändern werden. Da bislang keine entgegen stehenden Aussagen vorliegen, ist davon auszugehen, dass der Text der gesetzlichen Änderungen dem Referentenentwurf vom 14. April 2016 entspricht und dieser entsprechend Gesetz wird.

Für Freie ist die Gesetzgebung eigentlich von Interesse, weil hier die Möglichkeit bestanden hätte, die im Medienbereich, aber auch anderen Wirtschaftsbranchen verbreitete Beschäftigung von Arbeitnehmern als freie Mitarbeiter zu unterbinden. Durch diese Einstufung haben die betroffenen Mitarbeiter erheblich weniger Rechte gegenüber ihren Arbeitgebern und in der Regel auch ein geringeres Einkommen sowie eine mangelnde Absicherung in der Sozialversicherung. Der aktuelle Gesetzentwurf bietet hierzu allerdings nichts.

Die Bundesregierung tut damit so, als bestünde das Problem der Scheinselbständigkeit darin, dass der Begriff des Arbeitnehmers nicht klar genug definiert sei. Daher hat sie die gesetzliche Definition ausführlicher gestaltet. Gleichzeitig räumt die Regierung in der Gesetzesbegründung ein, dass die zusätzlichen Ausführungen im Text aus der bereits bestehenden Rechtsprechung der Gerichte stammen. Es handelt sich also gar keine inhaltliche Neuregelung der Rechtslage, sondern um eine Scheinreform. Das Gesetz wird geschwätziger gestaltet, in einer Zeit, in der allerortens die Rede davon ist, dass überflüssige Gesetze entfallen oder lange Gesetze schlanker gemacht werden sollten.

Natürlich werden gewiefte Juristen die Auffassung vertreten, aus den neuen Textelementen des § 611a BGB könnte Honig gesaugt werden, um mehr Scheinselbständige zu Arbeitnehmern zu machen. Umgekehrt gilt das allerdings auch, geschickte Arbeitgebervertreter könnten alle bisherigen Urteile zum Arbeitnehmstatus mit dem Argument in Frage stellen, die Neuregelung des Textes ermögliche die Beschäftigung von Selbständigen mehr als vor der Reform. Insgesamt erscheint allerdings am wahrscheinlichsten, dass der neue Text außer einigen juristischen Fachartikeln nur wenige Auswirkungen haben wird.
Wenig überraschend ist daher, dass beispielsweise die Arbeitgeber der Metallbranche den Gesetzentwurf begrüßt haben.

Wirksame Maßnahmen gegen ScheinselbständigkeitWer ernsthaft gegen die Scheinselbständigkeit vorgehen wollte, müsste den Betroffenen wirksamen Schutz und den Arbeitsschutzbehörden sowie den Betriebs- und Personalräten starke Interventionsmöglichkeiten geben. So müssten Scheinselbständige ein gesondertes, besonders schnelles Verfahren beim Arbeitsgericht erhalten, mit dem sie innerhalb einer Woche die Feststellung ihres Status erreichen könnten; für die Dauer eines solchen Verfahrens müssten sie Sonderkündigungsrechte und hohe gesetzliche Abfindungssummen erhalten, wenn der Arbeitgeber sie bei einer Klage dennoch vor die Tür setzt. Die Verantwortlichkeit für ausstehende Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer müsste eindeutig beim Arbeitgeber von Scheinselbständigen angesiedelt werden, die Personalverantwortlichen müssten hohen Strafdrohungen und vor allem auch finanziellen Sanktionen ausgesetzt sein.

Die Arbeitsschutzbehörden und der Zoll müssten eigene Abteilungen schaffen, die permanent auf der Suche nach falschen Scheinselbständigen unterwegs wären und auch anonymen Anzeigen binnen Wochenfrist nachgehen würden. Diese "Suche" wäre ein Leichtes, da allgemein bekannt ist, in welchen (Medien-)Betrieben massiv mit Scheinselbständigen gearbeitet wird. Die Behörden müssten die Möglichkeit erhalten, die Ausgabe von Arbeitsverträgen an identifizierte Scheinselbständige anzuordnen. Die davon betroffenen Personen müssten einen für lange Zeit geltenden Sonderkündigungsschutz erhalten, wodurch die Beschäftigung "falscher Freier" besonders unattraktiv gemacht würde.

Betriebs- und Personalräte müssten korrespondierende Interventionsmöglichkeiten erhalten. Auch sie müssten ein sehr schnelles Verfahren vor dem Arbeitsgericht erhalten, mit dem sie "falsche Freie" binnen Wochenfrist zum Arbeitnehmer machen könnten, und auch in diesem Fall müsste für die "neuen Arbeitnehmer" ein Sonderkündigungsschutz gelten.

Der DJV hat entsprechende Vorstellungen im Arbeitsministerium vorgetragen und festgestellt, dass das SPD-geführte Ministerium keinerlei Interesse an solchen wirksamen Maßnahmen hatte. Deutlich wurde die Vorstellung kommuniziert, eine Änderung der Definition des Arbeitnehmers sei die einzige Maßnahme, die überhaupt angegangen werde. Es war ganz klar, dass die Leitung des Ministeriums an einer echten Reform überhaupt nicht interessiert war, obwohl es selbst einräumte, dass gerade im Medienbereich von einer hohen Rate der Scheinselbständigkeit zu sprechen ist. Sicherlich hängt diese Einstellung damit zusammen, dass die verantwortlichen Minister und Staatssekretäre mit hohen Beamtenpensionen rechnen können und sich gar nicht im Klaren darüber sind, zu welcher langfristigen sozial prekären Lage - gerade auch im Alter - die Beschäftigung als Scheinselbständige/r führt.

Das geplante Gesetz im - anzunehmenden - Volltext

§ 611a Arbeitnehmer

Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der  Tätigkeit  betreffen.  Arbeitnehmer  ist  derjenige  Mitarbeiter,  der  nicht  im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.“

Begründung des Gesetzes (nach dem Referentenentwurf):

Artikel 2 sieht die Einfügung eines neuen § 611a BGB des Untertitels 1 zum Dienstvertrag vor.  Damit  sollen  missbräuchliche  Gestaltungen  des  Fremdpersonaleinsatzes  durch  vermeintlich  selbstständige  Tätigkeiten  verhindert  und  die  Rechtssicherheit  der  Verträge  erhöht  werden.  Dazu  legt  die  Vorschrift  des  §  611a  BGB  unter  wörtlicher  Wiedergabe  der Leitsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung fest, wer Arbeitnehmer ist. Soweit andere Rechtsvorschriften eine abweichende Definition des Arbeitnehmers, des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen, bleiben diese unberührt.

Satz 1 legt fest, dass Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Satz 2 umschreibt, dass sich Weisungen des Arbeitgebers auf Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit beziehen können, soweit sich aus dem Arbeitsvertrag, den Bestimmungen einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder einer anderen gesetzlichen Vorschrift nichts anderes  ergibt;  §106  Gewerbeordnung  (GewO)  bleibt  unberührt.  Satz  3  enthält  den  Umkehrschluss aus der Vorschrift des § 84 Absatz 1 Satz 2 Handelsgesetzbuch (HGB). Die Sätze 1 bis 3 finden sich in mehreren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts wieder (vgl. u. a. Urteile vom 21. Juli 2015 - 9 AZR 484/14, vom 25. September 2013 - 10 AZR 282/12, vom  17.  April  2013  -  10  AZR  668/12,  vom  15.  Februar  2012  -10  AZR  301/10,  vom  29. August 2012 - 10 AZR 499/11, vom 25. Mai 2005 - 5 AZR 347/04 und vom 20. September 2000 - 5 AZR 61/99).

In Satz 4 wird ebenfalls die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (so bereits Urteil vom 16. März 1972 - 5 AZR 460/71, vom 20. September 2000 - 5 AZR 61/99, aus neuerer Zeit etwa Urteile vom 15. Februar 2012 - 10 AZR 301/10 und vom 25. September 2013 - 10 AZR 282/12) aufgegriffen, wonach die Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses von anderen Vertragsverhältnissen im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist. Durch
eine solche wertende Gesamtbetrachtung kann den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung getragen werden.

Satz 5 stellt für den Fall, dass sich der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung widersprechen,  klar,  dass  für  die  rechtliche  Einordnung  als  Arbeitsverhältnis  die  tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgebend ist. Auch dies entspricht der ständigen  Rechtsprechung  des Bundesarbeitsgerichts (vgl.  bereits  Urteil  vom  14.  Juli  1983  -  2 AZR 549/81, vom 12. September 1996 - 5 AZR 1066/94 und vom 26. Mai 1999 - 5 AZR 469/98; aus neuerer Zeit Urteil vom 29. August 2012 - 10 AZR 4
99/11). 





Michael Hirschler, hir@djv.de

DJV-Freie Soziales
Freie Journalisten Soziales

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