Urheberrecht
Autoren bekommen von Google kein Geld für unerlaubte Nutzung von Büchern, urteilt US-Gericht
Unternehmen mit Milliardengewinnen kann Autorenrechte kostenlos nutzen
Die Firma Google nutzt in der US-Ausgabe ihres Internetdienst Büchersuche (Google Books) auch Bücher, die ohne Erlaubnis von Verlagen und/oder Autoren von Google gescannt oder anderweitig erfasst wurden. Google zahlt hierfür auch keinerlei Vergütung, auch nicht an eine Verwertungsgesellschaft. Diese unerlaubte und unvergütete Nutzung ist nach US-amerikanischen Urheberrecht rechtmäßig, urteilte ein New Yorker Gericht am 14. November 2013. Die Autorenvereinigung "Authors Guild" kündigte sogleich Berufung an.
Das Gericht begründete sein Urteil mit einer Sonderregelung im US-amerikanischen Urheberrecht. Nach § 107 des US-Urheberrechtsgesetzes ist die ungefragte und kostenlose Nutzung von Inhalten anderer zulässig für die Kritik eines Beitrags, zur Berichterstattung, für Bildungsmaßnahmen und zur Forschung, wenn sich der Nutzer dabei insgesamt fair verhält.
Welche Nutzungsarten fair und damit erlaubnisfrei und kostenlos sind, ist nur sehr allgemein geregelt und führt daher in den USA immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Dabei hat sich in den letzten Jahrzehnten eine unternehmensfreundliche Rechtsprechung entwickelt, mit der die Möglichkeiten der ungenehmigten und kostenlosen Nutzung erweitert wurden. Außerdem scheuen viele Betroffene eine Gegenwehr gegen unerlaubte Nutzungen schon allein wegen der in den USA erheblichen Rechtskosten. Das ermöglicht die ständige Praxis von Unternehmen, Geschäftsmodelle ohne Rücksicht auf Inhabern von Rechten zu entwickeln.
Zwar gibt es auch in Deutschland das Recht zur ungefragten Verwendung von Beiträgen anderer im Rahmen kritischer Auseinandersetzung, für die Berichterstattung oder im Bildungsbereich. Allerdings haben die Gerichte diese Regelungen strenger als in den USA ausgelegt. Einer der Hauptgründe dürfte darin liegen, dass die Kosten einer rechtlichen Auseinandersetzung in Deutschland erheblich geringer sind als in den USA und die Zahl der Einsprüche daher höher ausfällt.
Das Urteil im Detail
Das Gericht berief sich auf den § 107 des Urheberrechtsgesetzes und dessen Abwägungsregeln.
§ 107 Beschränkungen der ausschließlichen Rechte von Urhebern
(…) Der faire Gebrauch eines urheberrechtlich geschützten Werks, einschließlich einer Reproduktion durch Kopien oder Schallplatten oder jedem anderen Mittel (…) ist erlaubt für Zwecke wie die der Kritik, des Kommentars, der Berichterstattung, zur Lehre (einschließlich von mehrfachen Kopien zum Unterricht) oder zur Forschung ist keine Verletzung des Urheberrechts. Zur Klärung der Frage, ob der Gebrauch, der von einem Werk gemacht wird, fair ist, sollen folgende Faktoren berücksichtigt werden
(1) der Zweck und der Charakter der Nutzung, einschließlich der Frage ob der Gebrauch für gewerbliche oder nicht dem Erwerb dienende Lehrzwecke erfolgt;
(2) das Wesen des urheberrechtlich geschützten Werks;
(3) die Menge und der Wesensgehalt des Teils, der genutzt wurde im Verhältnis zum urheberrechtlich geschützten Werk als Ganzes; und
(4) der Effekt der Nutzung auf den potenziellen Markt für das urheberrechtlich geschützte Werk bzw. seinen Wert.
Der Umstand, dass ein Werk unveröffentlicht ist soll eine positive Entscheidung für einen fairen Gebrauch nicht verhindern, wenn diese positive Entscheidung unter Berücksichtigung aller oben genannten Faktoren gefallen ist.
(Übersetzung M.H.)
Im Fall der Google Buchsuche meinte das Gericht zum "Zweck und Charakter der Nutzung" (Punkt 1 der Abwägungsregel, s.o.), dass das Angebot Bildungszwecken diene. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Nutzung die bisherige Gestalt der Werk in anderer Form darbiete ("transformative Nutzung"). Denn Google würde ein Buch in einen durchsuchbaren Index verwandeln und Buchtext in forschungstaugliche Daten verwandeln, die etwa Datamining ermöglichten.
Die Buchsuche ersetze Bücher nicht, weil sie nicht wirklich zur Lektüre genutzt werden könne. Es füge dem bisherigen Buch vielmehr einen Mehrwert hinzu. Google nutze seine Buchsuche auch nicht wirklich kommerziell, da hier auf Anzeigen und Vergütungen für die Ansicht von Ausschnitten aus Büchern verzichtet würden. Zwar werte das Angebot das gesamte Dienstleistungsangebot von Google auf, das ändere aber nichts daran, dass dieses konkrete Angebot als Bildungsangebot zu werten sei.
Da die verwendeten Bücher bereits veröffentlicht wurden, stellte das Gericht auch keine "wesensbezogenen Einschränkungen" für einen freien Gebrauch fest (Regel 2 der Abwägungsregel). Eine solche Einschränkung könnten beispielsweise gelten, wenn es sich um Tagebücher noch lebender Personen, Geschäftsdokumente oder geheimgeschützte staatlichen Unterlagen handeln - Material, das sich nach Annahme des Gerichts aber nicht in der Buchsuche verwendet wird.
Die "Menge und der Anteil" der Nutzung (Punkt 3 der Abwägungsregel) sei angemessen, da Google stets nur Ausschnitte aus den dargestellten Büchern anzeige und weitere Sicherungsmaßnahmen eingezogen habe, die eine Vollanzeige der Bücher verhinderten. Zwar würden die Bücher vollständig eingescannt und auf vielen Servern von Google in kompletter Fassung gespeichert, auch eine Komplettnutzung sei allerdings bereits von Gerichten anerkannt worden, wenn sie nicht das Werk als solches ersetze.
Das Gericht sah auch keine negativen "Auswirkungen der Nutzung auf den potenziellen Markt für das Werk", die nach Punkt 4 der gesetzlichen Abwägungsregel zu beachten sind. Es sei nicht nachvollziehbar, warum jemand wegen der Google Buchsuche auf den Kauf eines Buches verzichten würde. Es sei unwahrscheinlich, dass ein Interessent sich ein Buch durch zahllose wiederholte Suchanfragen zusammenstellen würde. Viel wahrscheinlicher sei es, dass Buchhändler, Bibliotheken und auch einzelne Käufer durch die Buchsuche überhaupt erst auf Bücher aufmerksam würden, die ansonsten in den Regalen verstauben würden.
Das Gericht hob in einer summarischen Zusammenfassung seiner Erwägung noch den besonderen Nutzung der schnellen Auffindbarkeit von Inhalten auf die Buchsuche hervor. Zum ersten Mal sei die Volltext-Recherche in Millionen Büchern möglich geworden, schwer auffindbare oder vergessene Bücher würden erreichbar werden. Personen, die gedruckte Bücher wegen Behinderungen nicht lesen könnten sowie Bürger in Gebieten ohne ortsnahe Bibliotheken würden Zugriff auf Bücher bekommen können, Verlage und Autoren erhielten neues Publikum. "Tatsächlich profitiert die gesamte Gesellschaft", meinte das Gericht.
Im Übrigen sei es auch angemessen, wenn Bibliotheken mit Googles Hilfe Bücher einscannten, die sie bereits erworben hätten. Auch die Bibliotheken würden Bücher transformativ nutzen, weil sie durch die Digitalisierung ebenfalls eigene Indizes und Kataloge erstellten.
Finanzielle Situation der Autoren spielte keine Rolle
Keine Rolle spielten beim Urteil die Finanzkraft der Firma Google im Vergleich zur Situation der Autoren. Auch die Frage, ob Bücher im Zeitalter von eBooks nicht längst auch digital vorliegen und die Google daher mit dem Scan oder der digitalen Bereitstellung wirklich eine komplett andere Leistung bereit stellt, wurde nicht behandelt. Genau so wenig wie die Frage, warum Bücher, die von Verlagen oder Autoren unter Umständen bewusst nicht wieder aufgelegt wurden, über die Google Buchsuche erfasst werden. Etwa Fälle, in denen Inhalte überholt sind oder Verlag und/oder Autoren diese Inhalte nicht weiter vertreten.
Auswirkung auf Deutschland
Betroffen vom Urteil sind deutsche Autoren schon jetzt, wenn ihre Bücher in US-Bibliotheken befindlich sind. Da die US-Bibliotheken, gerade im Universitätsbereich, oft hervorragende internationale Bestände aufweisen, dürfte es um eine Vielzahl von Fällen gehen. Zwar schließt die US-Version der Buchsuche Anfragen aus Deutschland technisch aus, allerdings dürfte es technisch Versierten einfach sein, durch wenige Handgriffe, etwa durch Zugriff über TOR-Server, darauf Zugriff zu erhalten.
Die 1:1-Umsetzung des Urteils auf die deutsche Google Buchsuche erscheint dagegen als unwahrscheinlich, weil hier die Rechtsprechung derzeit noch größere Rücksicht auf die Interessen von Verlagen und Autoren nimmt. Bestimmte Nutzungsarten sind zudem, wenn nicht erlaubnispflichtig, so doch vergütungspflichtig gegenüber Verwertungsgesellschaften.
Auseinandersetzung um das Urheberrecht wird fortgesetzt
Als wahrscheinlich erscheint allerdings, dass die zahlreichen bezahlten und unbezahlten Lobbyisten, die seit Jahren für den Abbau der Urheberrechte eintreten, weiter versuchen werden, ihre gängige Forderung, dass die US-Regelung zur "fairen Nutzung" auch in Deutschland einzuführen sei, mit Berufung auf das New Yorker Urteil erneuern. Klar ist dabei, dass versucht werden wird, den Autoren und ihren Vereinigungen vorzuwerfen, sie würden zukunftsträchtige oder nützliche Internetangebote verhindern wollen - obwohl es in Wirklichkeit vor allem um Mitbestimmungsrechte und angemessene Vergütung für Autoren geht.
Die US-Autorenvereinigung Authors Guild hat bereits Berufung gegen das Urteil angekündigt. In Deutschland werden die Vertreter der Interessen von Autoren, darunter auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten, weiter versuchen, bei allen Geschäftsmodellen, in denen die Beiträge ihrer Mitglieder genutzt werden, Ansprüche zu bewahren und vor allem auch Vergütungen durchzusetzen.
Dass dieser Ansatz der US-amerikanischen und auch deutschen Interessenvereinigungen großen Internetunternehmen sowie ihren Lobbyisten nicht gefällt, dürfte genau so klar sein. Die Auseinandersetzung um die Verdienstmöglichkeiten von Autoren im Netz ist also keinesfalls am Ende, sondern wird auch nach dem New Yorker Urteil weiter intensiv fortgesetzt werden.
Michael Hirschler, hir@djv.de (@freie)