Mitglied werden
Login Logout Mitglied werden
Warenkorb

Engagement

Auf dem Weg zur Gewerkschaft der freien Journalisten

22.03.2016

Anzeige für freie Journalisten: Gregor Kucera zeigt ungewöhnliche Aktionsmethoden. Foto: Hirschler

Tipps für die Verbesserung der Situation der Freien, frisch geliefert aus Europa

„Wenn wir keine Freiengewerkschaft werden, sind wir bald keine Gewerkschaft mehr!“ John Toner von der britischen Journalistengewerkschaft NUJ (National Union of Journalists) macht deutlich, welche Bedeutung im gewerkschaftlichen Engagement für freie Journalisten gesehen wird. In ganz Europa hat die Zahl der freien Arbeitsverhältnisse stark zugenommen und prägt die soziale Diskussion in den Medienbetrieben, wie eine Tagung der Europäischen Journalisten-Föderation am 17./18. März im slowenischen Ljubljana zeigte.

Es gibt Wege, die Probleme der Freien zur Sprache zu bringen. Keine – vermeintlich - aufrührerischen Feuilletonbeiträge oder Blogposts, sondern Tarifverhandlungen sind der geeignete Ort. „Ein Drittel seiner Lebenszeit verbringt der Mensch bei der Arbeit, und Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeber sind der natürliche Ort, um seine Beschwerden über diesen Teil seines Lebens zur  Sprache zu bringen“, erklärte der britische Spitzenanwalt John Hendy, der sich auf Fragen des Arbeitsrechts spezialisiert hat.

„Es steht außer Frage, dass Freie ein Recht darauf haben, ihre Arbeitssituation durch Streiks und Tarifverhandlungen zu verbessern“, so Hendy. Er wies Versuche zurück, solche Verhandlungen als Verstoß gegen das Kartellverbot von Artikel 101 des EU-Vertrags einzustufen. Diese Regelungen würden Preisverhandlungen für Unternehmen verbieten, während es bei den gewerkschaftlich vertretenen Freien um abhängig Beschäftigte gehe, die nur unter der Rechtsform des freien Unternehmens arbeiten müssten. Die Grundrechte-Charta der EU und weitere fundamentale Bestimmungen der Union geben Freien das Recht, für ihre Rechte aktiv zu werden.

John Hendys Position: Artikel 11 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebe schlichtweg jeder Person das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs folge auf diesem Recht auch das Recht auf Tarifverhandlungen und Streik. Das gilt Hendy zufolge auch für die meisten selbständigen Journalisten. Weiterhin verwies er auch auf Entscheidungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die den Selbständigen in verschiedenen Entscheidungen das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung zuerkannt habe.

In Deutschland hatte ein Professor aus Tübingen genau diese Möglichkeit vor kurzem auf einer Tagung von Medienunternehmen vehement bestritten. Er hatte mit Hinweis auf Artikel 101 die Ansicht vertreten, dass Verhandlungen über Vergütungsregeln für Urheber gegen das Europarecht verstoßen. Das zeigt, welche große Bedeutung die ausgefeilte Argumentation von John Hendy hat.

„Freie müssen auch Teil der Tarifverhandlungskommissionen der Angestellten werden“, berichtete Tine Johansen vom Dänischen Journalistenverband. Hierdurch wurden die Anliegen der Freien zentraler Teil der Tarifverhandlungen und ihre Honorare verhandelbar. Bei der Journalistengewerkschaft in Österreich (GPA-djp) waren es dagegen eher die angestellten Redakteure, die von sich aus das Thema in den Verhandlungen thematisierten, im Bewusstsein, dass sie bald selbst zu Freien werden könnten, wenn die Umstände freier Beschäftigung nicht klarer definiert würden, so der Bericht von Gregor Kucera. Um in den Verhandlungen voranzukommen, wurden unter anderem Anzeigen mit der Aussage "1.000 Euro zum Leben - freie Journalisten verdienen mehr" in der Zeitung des Verhandlungsführers der Arbeitgeber geschaltet. Positive Folge der vielen Aktionen: Bisher frei Tätige wurden angestellt, Wermutstropfen allerdings: jetzt ist der Einsatz von Freien in den Redaktionen erheblich schwerer als vorher.

Auch der Betriebsrat kann für die Freien aktiv werden, selbst wenn das Gesetz den Einsatz für Freie eigentlich nicht kennt. „Wir haben in jedem Betriebsrat eine Verbindungsperson für Freie aufgestellt, damit die Anliegen der Freien Beachtung finden“, berichtete Seamus Dooley von der irischen Journalistengewerkschaft (National Union of Journalists Ireland). Dadurch könnten problematische Entwicklungen viel schneller im Betrieb thematisiert werden.

Auch in Slowenien, dem Gastland der Tagung, bleibt das Thema der Freien virulent. Zwar konnte der Geschäftsführer des Staatlichen Rundfunks Marko Filli zeigen, dass er in den letzten Jahren eine Reihe von freien Mitarbeiterverhältnissen in Festanstellungen umwandeln konnte. Dennoch gibt es auch hier Kritik, weil die Kriterien für den Wechsel von „frei“ auf „fest“ an formalen Ausbildungsnachweisen festgemacht werden, die von vielen Freien, die „on the job“ gelernt haben, nicht vorgelegt werden können. So kritisierte eine freie Mitarbeiterin des Rundfunks dann auch vehement, dass ihre Beschäftigungssituation von vielen ihrer Bekannten nur als „Sklaverei“ bewertet werde, und sie wegen der Einstellungsvoraussetzungen auch keine Aussichten habe, in eine Anstellung zu gelangen.

In anderen Ländern der Europäischen Union gibt es zudem noch gar keine Ansätze für eine Vertretung der Freien, wie beispielsweise Vertreter der Journalistengewerkschaften in Kroatien und Serbien berichteten. Es bleibt also viel zu tun. Die Tagung der Europäischen Journalisten-Föderation, die mit Unterstützung der Europäischen Kommission veranstaltet wurde, ist Teil einer Serie von Konferenzen auf europäischer Ebene, mit denen über die Verbesserung der Lage der Freien diskutiert wird.

Der DJV ist Mitglied der EJF und stellt auch einen Vertreter in einer Expertenkommission, der Freelance Rights Expert Group (FREG) innerhalb der EJF, die deren Vorstand in Fragen der Freien berät. Neben Sitzungen und Tagungen führt die EJF in den letzten Jahren auch Webinare für Freie auf europäischer Ebene durch, so sind für dieses Jahr zwei weitere Online-Veranstaltungen in Vorbereitung.

Michael Hirschler, hir@misaificadjv.de

Die letzten vier Meldungen der DJV-Startseite DJV-Freie Ausland Soziales

Weitere Artikel im DJV-Blog

Charlotte Merz
Charlotte Merz

15.05.2024

Die Richterin und das Grundrecht Pressefreiheit

Mit ihrem resoluten Vorgehen gegen einen ZDF-Reporter offenbart Richterin Charlotte Merz ein fragwürdiges Verhältnis zum Grundrecht der Pressefreiheit.

Mehr
STREIK BEIM WDR
STREIK BEIM WDR

07.05.2024

Gier auf Kosten der Freien

Dass Medienunternehmen in Tarifverhandlungen knauserig sind, ist nicht neu. Dass manche von ihnen erst durch Arbeitskämpfe zu besseren Angeboten zu bewegen sind, auch nicht. Dass aber die Honorare der …

Mehr
RAI
RAI

06.05.2024

Legt die Arbeit nieder

Beim italienischen Fernsehsender RAI wird heute gestreikt. Nicht für mehr Geld oder neue Tarifverträge, sondern gegen die Einmischungen der Regierung in die Programminhalte.

Mehr
ITALIEN
ITALIEN

26.04.2024

Hände weg von der RAI

Die Versuche der politischen Einflussnahme durch die Regierung Meloni auf den Rundfunksender RAI nehmen zu. Anfang Mai soll es deshalb einen Streik geben.

Mehr
MEDIENKRITIK
MEDIENKRITIK

25.04.2024

Til Schweiger überzieht

Im Interview mit der Zeit übt Schauspieler und Regisseur Til Schweiger heftige Kritik an einigen Medien. Das kann nach der Berichterstattung über ihn nicht verwundern. Aber bei Kritik belässt er es ni …

Mehr
WDR-RUNDFUNKRAT
WDR-RUNDFUNKRAT

24.04.2024

Zeichen gesetzt

Der Rundfunkrat des Westdeutschen Rundfunks fordert von dem Sender rechtliche Schritte, wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags von der Politik nicht zügig beschlossen wird.

Mehr
JOURNALISTEN
JOURNALISTEN

22.04.2024

Wir sind kein Klischee

Warum nur geraten Journalisten im Spielfilm so gnadenlos daneben? Weil die Drehbuchschreiber keine Ahnung vom Journalismus haben? Oder weil sich das Klischee besser verkauft als die Wirklichkeit?

Mehr
URLAUBSENTGELT
URLAUBSENTGELT

19.04.2024

Freie, aufgepasst!

Freie beim Deutschlandradio haben Anspruch darauf, dass Wiederholungshonorare für die Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigt werden. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurt …

Mehr
TARIFKONFLIKT
TARIFKONFLIKT

17.04.2024

Hoch zu Ross

750 Beschäftigte des Westdeutschen Rundfunks hatten gestern die Nase voll und beteiligten sich am Warnstreik der Gewerkschaften. Bestätigt wurden sie von den Verhandlern der Gegenseite.

Mehr
PROSIEBENSAT.1
PROSIEBENSAT.1

16.04.2024

Berlusconi ante portas

Droht der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 von Hauptaktionär Media for Europe übernommen zu werden? Die Medienaufsicht sollte ihren Blick schärfen.

Mehr
FERNSEHNACHRICHTEN
FERNSEHNACHRICHTEN

15.04.2024

Angekündigte Katastrophe

Mehrere Stunden lang flogen iranische Drohnen Richtung Israel. Stunden, in denen die Öffentlich-Rechtlichen ihr Programm hätten umkrempeln können. Doch bis zu Sondersendungen in ARD und ZDF vergingen  …

Mehr
SWMH
SWMH

11.04.2024

Tröpfchen-Kommunikation

Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der die Süddeutsche Zeitung gehört, tut sich schwer mit klaren und umfassenden Fakten zum geplanten Stellenabbau bei der SZ.

Mehr
ÜBERGRIFFE
ÜBERGRIFFE

09.04.2024

Nicht mehr so schlimm?

Laut Reporter ohne Grenzen ist die Zahl der Übergriffe auf Journalisten 2023 gegenüber dem Vorjahr stark gesunken. Grund zur Entwarnung? Eher nicht.

Mehr
HÖCKE-INTERVIEWS
HÖCKE-INTERVIEWS

08.04.2024

Mit Präzision begegnen

Wie lassen sich Interviews mit Thüringens AfD-Politiker Björn Höcke führen? Sollten sie überhaupt geführt werden? Damit hat sich die Süddeutsche Zeitung in einem lesenswerten Bericht auseinandergesetz …

Mehr
FÖDERL-SCHMID
FÖDERL-SCHMID

05.04.2024

Hexenjagd geht weiter

Die Universität Salzburg bescheinigt der stellvertretenden SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten". Sie darf ihren Doktortitel behalten. Das sieht …

Mehr
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST
UPDATE: RUNDFUNK-MANIFEST

04.04.2024

Nah am Rand

Über das "Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" sind die notorischen Medienhasser in den Social Media aus dem Häuschen. Bei aller berechtigten Kritik an den Öffentli …

Mehr
KÖLNER STADT-ANZEIGER
KÖLNER STADT-ANZEIGER

03.04.2024

Vermarkter am Ruder

Die Online-Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers soll der digitalen Produktentwicklung unterstellt werden und angeblich redaktionell unabhängig bleiben. Zweifel sind angebracht.

Mehr
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

28.03.2024

Die Leser sind nicht blöd

Zeitungsleser wollen für Inhalte, die mit KI erzeugt werden, weniger bezahlen. Das ergab eine Umfrage. Eigentlich eine klare Aussage - wären da nicht Marketingexperten, die Morgenluft wittern.

Mehr
VOICES FESTIVAL
VOICES FESTIVAL

27.03.2024

Journalismus trifft Medienkompetenz

Nur wenn Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz zusammenspielen, kann eine Zukunft gelingen, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, fand DJV-Vorstandsmitglied Ute Korinth in Florenz heraus.

Mehr
TELEGRAM
TELEGRAM

26.03.2024

Schluss mit lustig

Ein spanisches Gericht hat den Messengerdienst Telegram in dem Land abgeschaltet. Grund sind Verstöße gegen das Urheberrecht.

Mehr