Arbeitsrecht
Arbeitsgericht Siegburg fällt skurrile Entscheidung über die Frage, wer Arbeitnehmer ist
Gericht verkennt Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit, wendet diese auf das Pressewesen an
Für das Arbeitsgericht Siegburg ist ein Zeitungsjournalist auch dann selbständig, wenn er einen festen Arbeitsplatz in der Redaktion hat, feste Arbeitszeiten einzuhalten hat, regelmäßig an Redaktionskonferenzen teilnimmt, bei Abwesenheit von den Konferenzen bei der Redaktionssekretärin abzumelden pflegt und sich Urlaub genehmigen oder sogar zuweisen lassen muss.
Mit Urteil vom 15. Oktober 2015 entschied das Gericht, dass der Mitarbeiter das redaktionelle "Programm gestalte" und für einen solchen programmgestaltenden Mitarbeiter das normale Arbeitsrecht nicht gelte. Das Gericht bezog sich in seiner Argumentation dabei auf die Rechtsprechung zur Befristung von Arbeitsverhältnissen im Rundfunk. Geklagt hatte ein freier Mitarbeiter einer Zeitung. Beim Betroffenen handelt es sich nicht um ein DJV-Mitglied, auch wurde der Fall von keinem DJV-Landesverband vertreten.
Kurios erscheint an der Entscheidung nicht nur, dass das Gericht Grundsätze aus dem Rundfunkbereich auf die Presse übertragen will, sondern vor allem, dass das Gericht die Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit dabei auch verkennt. Denn diese Rechtsprechung hat - allen Gerüchten zum Trotz - nie besagt, dass ein Mitarbeiter allein wegen der Rundfunkfreiheit als freier Mitarbeiter beschäftigt werden darf. Sie betraf eigentlich immer nur das Recht von Rundfunkanstalten, Mitarbeiter befristet zu beschäftigen, also "frei" in Hinblick auf die Dauer der Beschäftigung, nicht aber "frei" in Bezug auf die Frage, ob der Mitarbeiter Selbständiger oder Arbeitnehmer sei. Diese Frage war und ist immer separat zu klären. Hierbei spielte die Frage, ob ein Mitarbeiter zur Teilnahme an Redaktionskonferenzen verpflichtet war, dann auch immer eine große Rolle - wer teilnehmen musste, war regelmäßig als Redakteur anzusehen.
Hintergrund der Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit ist das Anliegen der Rundfunkanstalten, Mitarbeiter mit meinungsbildender Funktion schnell vor die Tür setzen zu können, etwa wenn die politische Meinung dem Rundfunksender zu einseitig oder auch nur veraltet scheint oder auch anderweitig mit den aktuellen Grundlinien des Senders kollidiert. Das Bundesarbeitsgericht erlaubt den Rundfunksendern daher seit Jahrzehnten, Mitarbeiter befristet zu beschäftigen, wenn sie das Programm gestalten. Das Bundesarbeitsgericht hat aber damit nie festgestellt, dass diese befristet Beschäftigten damit auch automatisch Selbständige seien; vielmehr wurden sie in der Regel als befristet beschäftigte Arbeitnehmer eingestuft.
So meinte das Landesarbeitsgericht München in einem Fall an einer Rundfunkanstalt im Jahr 2010:
"Dennoch kann auch bei programmgestaltenden Mitarbeitern entgegen der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit verbleibt, und der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann (BAG vom 14.03.2007 – 5 AZR 499/06, NZA – RR 2007, S. 424). (...)
Wegen des Charakters ihrer Tätigkeit liegt das Augenmerk der Prüfung bei diesen Mitarbeitern deshalb insbesondere darauf, ob sie trotz Programmgestaltung weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen und ihnen nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit verbleibt und ob der Sender innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann." (LAG München, 5 Sa 582/09, 11. Juni 2010)
Das Arbeitsgericht Siegburg argumentierte jetzt in seinem Urteil, dass die Prinzipien der Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit auf Artikel 5 des Grundgesetzes beruhten, das in gleicher Weise auch für die Presse gelte. Daher könnten die Kernaussagen der Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit auch auf das Pressewesen übertragen werden, die Beschäftigung von Mitarbeitern als Freie sei daher einfacher möglich als in anderen Unternehmen. Dabei meinte das Arbeitsgericht zudem, dass der Journalist auch durch Beiträge zu "100jährigen Jubiläen" die Inhalte der Zeitung in programmgestaltender Weise präge - redaktionelle Aufgaben, die eigentlich nicht Gelegenheit zu tiefschürfenderen gesellschaftspolitischen Aussagen geben...
Das Gericht kam dabei auch zu anderen überraschenden Feststellungen. Die Tatsache, dass der Journalist an Dienstagnachmittagen öfters nicht anwesend war, weil er sich um die Familie kümmerte, wertete es bereits als Anzeichen, dass der Mitarbeiter eben keine Verpflichtung zu einer festen Arbeitszeit hatte. Und weil er sich, wenn er an Redaktionskonferenzen nicht teilnehmen konnte, "nur" bei der Redaktionssekretärin abmeldete, galt dies dem Gericht als Anzeichen dafür, dass es offenbar doch keine Pflicht zum Erscheinen an der Redaktionskonferenz gab. Offensichtlich war dem Gericht nicht klar, dass eine Redaktionssekretärin für solche organisatorischen Punkte zuständig ist, um dem leitenden Redakteur solche Gespräche / Mitteilungen abzunehmen, insofern kein "nur" darstellt, sondern eine wichtige Funktion in einer Redaktion hat - also mithin die Abmeldung bei der Redaktionskonferenz kein Zeichen von Selbständigkeit ist, sondern vielmehr gerade von Abhängigkeit: Für eine relative Selbständigkeit hätte eigentlich vielmehr nur gesprochen, wenn der Mitarbeiter bei Redaktionskonferenzen ohne jedwede Abmeldung hätte fehlen können.
Dem Betroffenen kann nur empfohlen werden, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Eine genaue Beschäftigung seiner Anwälte mit der Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit dürfte zeigen, dass das Arbeitsgericht Siegburg eine Entscheidung gefällt hat, die allemal als skurril bezeichnet werden darf und aufgehoben werden muss.
Michael Hirschler, hir@djv.de