Gewalt gegen Journalist*innen
Angriffe auf die Demokratie
Gewalt gegen Journalist*innen. Foto: Reuters.
Der Berliner Verfassungsschutz widmet in seinem jetzt vorgestellten Jahresbericht der Gewalt gegen Medienschaffende ein Sonderthema. Ein Weckruf für die Politik?
Beschimpfungen, Drohungen, Schläge, Tritte gegen Journalist*innen: Das Jahr 2021 war kein gutes für die Pressefreiheit in Deutschland. Die Verachtung, der Hass und die Gewalt gegen Journalist*innen seien "nicht weniger als ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit", warnt der Berliner Verfassungsschutz auf den acht Seiten des Sonderthemas "Journalistinnen und Journalisten im Fokus von Verfassungsfeinden" in seinem Jahresbericht. Der Nachrichtendienst verweist unter anderem auf die Dokumentation des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) mit 95 dokumentierten Angriffen auf Medienschaffende bis November 2021. Laut ECPMF wurden 2021 so viele Attacken gegen Journalist*innen erfasst wie noch nie seit Beginn der Zählung 2015 – ein schlimmer Negativrekord.
Die Angriffe kamen und kommen laut ECPMF und Berliner Verfassungsschutz vor allem aus der rechten Szene. "Es ist ein erklärtes Ziel dieses Spektrums, etablierte Medien zu diskreditieren und zu attackieren." Das Feindbild der angeblichen "Lügenpresse" findet dabei vor allem auf den Demos gegen die Corona-Maßnahmen gewalttätigen Ausdruck. "Innerhalb dieser Proteste hat sich eine neue verfassungsfeindliche Szene entwickelt, deren Ziel es ist, die freiheitliche Grundordnung zu delegitimieren und zu destabilisieren", so der Bericht. Das Ziel sei es, das Vertrauen der Bevölkerung in etablierte Medien zu untergraben: "Verfassungsfeinde nutzten diese Entwicklung, um jenseits der etablierten Medien eigene Informationskanäle aufzubauen und dort ‚alternative Fakten‘ zu verbreiten."
Der Berliner Verfassungsschutz zieht ein klares Fazit: "Ein ganzer Berufszweig soll dadurch in Misskredit gebracht werden. Die Verachtung und der Hass, der Medienschaffenden entgegenschlägt, ist nicht weniger als ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Für eine freiheitliche Demokratie ist das nicht hinnehmbar." Dem ist nichts hinzuzufügen. Falls die Politik noch einen Aufruf gebraucht hat, um zu handeln und damit die Ampel-Regierung ihre diesbezüglichen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag in die Tat umsetzt – sie haben jetzt auch die nachrichtendienstliche Bestätigung des Problems.
Ein Kommentar von Paul Eschenhagen
Transparenzhinweis (25.5.2022, 16 Uhr): In einer früheren Version wurde die vom Berliner Verfassungsschutz genannte Zahl von 95 vom ECPMF dokumentierten Fällen infrage gestellt und auf die Studie "Feinbild Journalist 6" verwiesen: "Der Nachrichtendienst verweist unter anderem auf die Dokumentation "Feindbild Journalist" des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF). Für 2021 hat das ECPMF 83 gewaltsame Angriffe verifiziert. Und allein bis zum 1. März 2022 wurden nochmal 22 Fälle pressefeindlicher Gewalt registriert. Unklar bleibt allerdings, wie der Berliner Verfassungsschutz zu der in seinem Jahresbericht genannten Zahl von bis einschließlich November 2021 95 vom ECPMF gezählten Übergriffen auf Medienschaffende in Deutschland kommt." Das ECPMF hat mittlerweile auf Twitter bestätigt, dass beide Zahlen korrekt sind und durch eine unterschiedliche Datenbasis zustande kommen.